Horst Rosenbaum: Kienzle-Uhren unter neuer Führung
Am 1. Oktober 1983 wurde Dipl. Kaufmann Horst Rosenbaum (( Horst Rosenbaum (geb. am 6.4.1933 in Hannover, gest. am 13.3.1986 in Villingen-Schwenningen) war der Sohn eines Unternehmers. Er studierte in Hamburg und Köln. Er arbeitete bei der Knight-Wegenstein Unternehmensberatung in Zürich, als Direktor bei Hanomag Henschel in Hannover, von 1972 bis 1975 bei der Varta Batterie AG in Hannover, von 1975 bis 1978 Geschäftsführer Robert Bosch S.A. in Paris, von 1978 bis 1982 Vorstandsmitglied der SEL AG. (Vorstandsvorsitzender) 1982 Generalbevollmächtigter der Grundig-Stiftung und Stellvertreter des Firmenchefs.)) Geschäftsführer und Vorsitzender der Geschäftsführung bei Kienzle-Uhren in Schwenningen. Rosenbaum stieg als Kapitaleigner mit unter 25 % in die Kienzle-Uhren GmbH (( Die Zeit v. 16.9.1983 „Als Unternehmer ausbaden“ will er nun, was er „sonst immer als Angestellter angerichtet“ hat, vertraute Horst Rosenbaum dem Handelsblatt an. Der frühere SEL-Manager hat nach einem Zwischenspiel als Generalbevollmächtigter der Max-Grundig-Stiftung nun überraschend schnell eine neue berufliche Bleibe gefunden. Er wird vom 1. Oktober an Vorsitzender der Geschäftsführung der Kienzle-Uhrenfabriken GmbH in Villingen-Schwenningen. Bei seiner neuen Firma will er auch eine Beteiligung übernehmen („nicht weit weg von einer Schachtel“), also 25 Prozent. Bei einem Stammkapital von gut sieben Millionen Mark müßte er da einiges an Geld aufbringen. Seine Abfindung von Max Grundig dürfte dafür wohl kaum ausreichen, denn Rosenbaum ist dort unter recht dubiosen Umständen … ausgeschieden. Auf der Erfüllung seines Fünf-Jahres-Vertrages dürfte er kaum bestanden haben. Ihm wurde angelastet, er habe die Wirtschaftsagentur VWD über Vorgänge im Hause Grundig vorzeitig informiert.“)) ein und war überzeugt „einen guten Griff getan zu haben und das Unternehmen in eine elektronische Zukunft zu führen.“ (( StAVS 4.9-29. SWP v. 9.9.1983 Kienzle-Uhren mit neuer Führung.))
Dem sehr selbstbewusst auftretenden ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von SEL wurden große Hoffnungen entgegengebracht. Horst Rosenbaum „war zuletzt Generalbevollmächtigter der Grundig-Stiftung und Stellvertreter des Firmenchefs [Max Grundig], vorher vier Jahre Vorstandsvorsitzender bei Standard Elektronik Lorenz (SEL) und davor vier Jahre in einer Funktion als Geschäftsführer bei Robert Bosch tätig.“
Rosenbaums Strategie
Der 50jährige Horst Rosenbaum sei „ der Überzeugung, daß die Uhrenfabriken Kienzle mit dem Hauptwerk (und 700 Beschäftigten) im Stadtbezirk Schwenningen und Töchterunternehmen unter anderem in Brasilien (mit etwas über 200 Beschäftigten) eine echte Chance habe, sich unter den führenden europäischen Uhrenherstellern zu behaupten“. Seine Devise für die Zukunft heiße „Expansion und … Hinwendung zur Elektronik“. Die Südwest Presse/ Neckarquelle berichtete bereits im September 1983, „[d]aß er sich mit einer sogenannten ‚Schachtelbeteiligung‘ (das sind unter 25 Prozent) an der GmbH engagieren will, möchte er als Indiz für eine positive Zukunft des Unternehmens gewertet wissen. ‚ich habe Respekt davor, daß Kienzle der tödlichen Krise entkommen und daß es trotz aller Bitterkeit für die entlassenen Mitarbeiter gelungen ist auf dem Markt für europäische Uhrenhersteller wieder Fuß zu fassen.‘
Rosenbaum [sei] auch davon überzeugt, daß die 1982 erarbeiteten Gewinne und die auch 1983 bereits sichtbaren leichten Erhöhungen der Gewinne nicht ohne gemeinsamen Einsatz von Belegschaft und Geschäftsleitung möglich gewesen wären. ‚weiter in der Gewinnzone bleiben‘ gehöre zu den großen Aufgaben, die er sich für die Zukunft vorgenommen habe.“ Kienzle sei gut aufgestellt. „Mit 700 Beschäftigten im Stammhaus gehör[e] Kienzle seit zwei Jahren zu den Unternehmen in der gemeinsamen Stadt, die weder Kurzarbeit anmelden mußten, noch von Entlassungswellen geschüttelt wurden.“ (( StAVS 4.9-29. SWP v. 9.9.1983 Kienzle-Uhren mit neuer Führung.))
Am 1.12.1983 gab es eine Presseinformation des Unternehmens unter der Überschrift „Kienzle Uhren verstärkt in der Elektronik“ in der Rosenbaum seine zukünftige Strategie für Kienzle ankündigte. Schwergewicht der Firma sei weiterhin die Quarzuhr. „Durch die Realisierung eines über dem Branchendurchschnitt liegenden Investitionsprogrammes, das seit 1980 erheblich gestiegen [sei], bereitete sich Kienzle auf den internationalen Wettbewerb vor. Auch 1983 und 1984 w[ü]rden rund 5 % vom Umsatz investiert. Davon [entfalle] ein Großteil auf neue Produkte
Neben der bereits bestehenden Produktion von Quartzwerken, Großuhren und Autouhren [werde] Kienzle 1984 mit der Fertigung von elektronischen Baugruppen für Kleincomputer beginnen.“ Das Unternehmen wolle dadurch auch „eine technologische Befruchtung der Zeitmeßsysteme erreichen.“ Aus diesem Grund habe man mit der Firma SKS in Karlsruhe, ein Unternehmen der elektronischen Systemtechnik, eine Zusammenarbeit vereinbart. Die Presseerklärung des Unternehmens endete selbstbewusst, dass „der bisher weitgehend von der Feinmechanik bestimmte Wirtschaftsraum VS-Schwenningen den Anschluß an die eigentlichen Wachstumsmärkte“ finden werde. Mit der neuen Strategie füge sich „Kienzle in die strategischen Planungen der baden-württembergischen Landesregierung, die auf eine Verbesserung der Wirtschaftsstruktur des hiesigen Wirtschaftsraumes ausgerichtet [seien], nahtlos ein.“ (( StAVS 1.13 Nr. 1639))
Horst Rosenbaum ließ keinen Zweifel daran, dass er angetreten sei, die marode Wirtschaft der Region zu sanieren und er war sich bei diesem Vorhaben der Unterstützung der Landesregierung ganz sicher.
Rosenbaum bereitet den Umzug von Kienzle-Uhren vor
Bereits Anfang Dezember berichteten die Zeitungen (( StAVS 4.9-29 Schwabo 2.12.1983 (Südkurier, BZ, SWP, Stgt. Ztg.) Auf jeden Fall: Kienzle will ausziehen. Die Tradition behindert den Aufschwung. Minister Eberle verspricht Hilfe – dort wo es möglich ist/ Besichtigung der Uhrenfabrik.))
Kienzle wolle ausziehen, weil die architektonischen „Traditionen“ den Aufschwung des Unternehmens behinderten. Bei einem Besuch des Wirtschaftsministers Eberle in Schwenningen, zeigte sich der neue Geschäftsführer Horst Rosenbaum überzeugt, dass Kienzle-Uhren, ein „gesunder und vorwärtsstrebender Industriebetrieb“ sei, „bei dem alle Voraussetzungen für einen künftigen weiteren Aufschwung“ gegeben seien. Kienzle werde aber „ an einer modernen Produktion vor allem durch seine völlig veralteten Betriebsanlagen gehindert“. Es komme nun darauf an „die Personalkosten durch Rationalisierungen zu senken, gleichzeitig aber die Produktion [so] zu steigern, damit niemand entlassen werden müsse“.
Kienzle baue deshalb neben den Uhren eine neue Produktionssparte auf, die elektronischen Baugruppen. „Heuer [1983] mach[t]en sie erst zwei Prozent des Gesamtumsatzes aus. 1984 soll[t]en es neun Prozent sein und 1985 [wolle] man bei 13 Prozent angelangen. Und dies, so Horst Rosenbaum, sei eine konservative Planung.“ Der gerade nach Schwenningen zugezogene Geschäftsführer war überzeugt, der Wirtschaftsraum Schwarzwald-Baar habe in den vergangenen 20 Jahren die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Damit dies nun endlich geschehe, brauche es neue Ideen. Die Verlagerung von Kienzle sei deshalb notwendig, um die Wirtschaftsregion voranzubringen „koste es, was es wolle!“ Und der anwesende Wirtschaftsminister Eberle stimmte dem Manager Rosenbaum zu. (( A.a.O.))
In nichtöffentlicher Sitzung des Technischen Ausschusses am 8.12.1983, bei der es überraschend um Einbeziehung des Kienzle-Areals in die Muslensanierung ging, erklärte der Oberbürgermeister Gebauer, bei dem Fall Kienzle handle es sich um „eine Idee auf höchster Ebene der Landesregierung.“
In öffentlicher Sitzung wurde am 14.12.1983 die Erweiterung Muslen und das Gebiet Niederes Tor als Sanierungsgebiete angemeldet. Dieser Vorgang war nach Meinung des Abgeordneten Erwin Teufel „ganz ungewöhnlich“. Der Wirtschaftsminister habe außerhalb der Richtlinien gehandelt, ebenso die Stadt, die noch über kein Konzept verfüge (( A.a.O. Handschriftliche Aufzeichnungen v. 20.12. 1983 eines Treffens von Min. Dr. Eberle, Erwin t5eufel, Horst Rosenbaum, Otto Hott u.a.)) .
Im Gegensatz dazu hatte Horst Rosenbaum ein Konzept und wusste genau, was wollte.
Das Unternehmen ließ in kluger Voraussicht den Wert seiner Gebäude und Grundstücke schätzen und Gutachten zu seiner Förderungswürdigkeit erstellen.
Eine Schätzung von Dipl. Ing. Harry Kelling ging am 11.1.1984 von einem Wert des Kienzle Grund- und Gebäudebesitzes von 20 – 21 Millionen DM aus. Professor Dr. Bruno Fritsch und Dr. Georg Erdmann von der technischen Hochschule Zürich erstellten ein Gutachten über die Förderungswürdigkeit der Firma Kienzle-Uhren, mit dem Ziel eine Entscheidungshilfe für die Einbeziehung des Unternehmens in das Landessanierungsprogramm zu erstellen. Das Gutachten kam zu dem vorhersehbaren Schluss: „Ein Überleben der Uhrenfabriken in der heutigen Form ist nicht möglich auch bei wesentlichen Innovationen im Uhrenbereich. Deshalb braucht man einen weiteren Fertigungsbereich. Das könnten z.B. elektronische Bestandteile für Mikrocomputer/ Leiterplatten, elektronische Heizkostenverteiler bzw. elektronisch betriebene KFZ-Komponenten sein“ (( A.a.O. Gutachten Fritsch/ Erdmann S. 11.)) .
Kienzle müsse deshalb durch den Verkauf seines Grundstücks samt Gebäudekomplex zwingend einen „Liquiditätszufluss“ erzielen, diesen als „Risikokapital einsetzen und zur Finanzierung von Zukunftsinvestitionen verwenden. „Je besser die Zeichen der Zeit – weg von standardisierter Massenproduktion, hin zu intelligenten Produkten mit Spitzentechnologie und dem Einsatz von ‚human capital‘ – erkannt und in die Tat umgesetzt werden, desto besser“ sei dies. (( A.a.O. S. 26))
Die Stadt Villingen-Schwenningen habe nach Meinung der Gutachter einen großen Nutzen von der Unterstützung der Fa. Kienzle. Die Arbeitslosenquote liege bei 7,5 Prozent, die Einwohnerzahl Schwenningens sei in den letzten Jahren von 35 000 auf 29 000 Einwohner gesunken. Vor allem die 20 bis 45-jähringen würden abwandern. „Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, so [werde] hier bald eine trostlos verödete Region mit unzumutbaren Lebensverhältnissen für solche Einwohner entstehen, die hier nicht wegziehen können.“ (( A.a.O. S.32))
Die wirtschaftliche Wiederbelebung der Region müsse sich am Bestand der einheimischen Betriebe orientieren, strukturbedingte Wachstumshemmnisse beseitigen und Existenzgründungen fördern. „Es nutzt nichts, wenn eine Leiche zwei bis drei Jahre vor dem Friedhof hin- und hergetragen wird“ Dieses Zitat des Ministerpräsidenten Lothar Späth beschreibe im Wesentlichen den Zustand der regionalen Wirtschaftspolitik. Die Region müsse dringend den Anschluss an die Spitzentechnologien wiedergewinnen (( A.a.O. S. 33))
. „In Baden-Württemberg, dem Land der Tüftler und Denker, [müsse] die um sich greifende Sicherheitsmentalität (Besitzstandsdenken) durch neue unternehmerische Risikobereitschaft ersetzt werden.“ (( A.a.O. S. 34. (Bericht der Kommission ‚Zukunftsperspektiven gesellschaftlicher Entwicklungen‘ an die Landesregierung Baden-Württemberg (erschienen im November 1983).))