Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Verkauf der Hellmut-Kienzle-Uhrensammlung

geschrieben am: 19.06.2015 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Uhrenfabrik Kienzle

Poker um die Uhrensammlung: 1. Runde

Im August 1974 erfuhr die Öffentlichkeit, dass Alfred Kreidler das im Februar 1961 eröffnete Hellmut-Kienzle-Uhrenmuseum verkaufen wollte. (( StAVS 4.9-29, SWP 23.8.1974 Fürs Kienzle-Museum ein neuer Mäzen gesucht./ Kann das Land einspringen? Abzug der Sammlung aus Schwenningen wahrscheinlich. „Dem im Februar 1961 eröffneten Hellmut-Kienzle-Uhrenmuseum droht die Auflösung. Die schon seit längerem laufenden Bemühungen des Kapitaleigners der Kienzle Uhrenfabriken GmbH, den Bestand des Museums zu verkaufen, sind jetzt in ein akutes Stadium getreten. Zu den Interessenten zählt mittlerweile auch das Land, endgültig entscheiden wird darüber in absehbarer Zeit der Ministerrat. Ausschlaggebend wird es dabei sein, ob die finanziellen Bedenken ausgeräumt werden können… Ob nun ein Privatsammler oder Vater Staat die Uhrensammlung erwirbt, eines dürfte fast sicher sein: das Uhrenmuseum wird seinen Standort kaum in Schwenningen behalten. Im Kultusministerium herrscht die Tendenz vor, es mit der Uhrensammlung bei der Fachhochschule Furtwangen zu vereinigen.“))

Uhrenfabrik Kienzle - rechts im Vordergrund das Gebäude des ehemaligen Kienzle-Uhrenmuseums (Foto: Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Uhrenfabrik Kienzle – rechts im Vordergrund das Gebäude des ehemaligen Kienzle-Uhrenmuseums (Foto: Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Laut einer Pressemeldung vom 16.9.1974 wollte das Land Baden-Württemberg die Sammlung für 10 Millionen Mark kaufen, um die Arbeitsplätze bei Kienzle zu sichern. Für die Kaufsumme sollten Toto-Lotto-Mittel herhalten, die üblicherweise für den Ankauf von „Spitzenkunst“ verwendet wurden. Nach einer Pressenmitteilung des Finanzministeriums war in der Kaufentscheidung des Landes „eine wichtige Initiative zur Sicherung von Arbeitsplätzen zu sehen“ (( StAVS 4.9-29 SWP 16.9.1974 Erste Spritze für die Uhrenindustrie: Land kauft das Kienzle-Museum. Preis bei zehn Millionen Mark – Wichtiger Beitrag zur Sicherung der Arbeitsplätze. Allerdings äußerte sich Teufel nicht zum neuen Standort der Uhrensammlung. Die Stadt Villingen-Schwenningen wollte das Museum gerne der Stadt erhalten.))

Besonders engagierten sich für den Kauf der Kienzle-Uhrensammlung Finanzminister Robert Gleichauf und Staatssekretär Erwin Teufel. Die Sammlung sollte vor allem „jenem Gebiet unseres Landes erhalten bleib[en], in dem die Uhrmacherei seit Jahrhunderten heimisch ist und dessen wirtschaftliche Struktur auch heute noch von der Uhrenindustrie sehr wesentlich mitgeprägt wird‘.“ Die Firma Kienzle glaubte durch den Verkauf teure Kredite vermeiden zu können.

Uhrensammlung künstlerisch wertlos?

Als Reaktion auf die Pressemitteilung des Finanzministeriums stellte der Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Dr. Rudolf Schieler im Landtag die Frage, „ob die Landesregierung tatsächlich den Erwerb noch beabsichtige, nachdem eine Expertenkommission festgestellt habe, daß die Uhrensammlung vom künstlerischen her als ‚wertlos angesehen werden müsse‘ und ob die Landesregierung außerdem Garantien der Firma habe, daß mit dem Kauf auch die 2000 Arbeitsplätze bei Kienzle erhalten bleiben können“ (( StAVS 4.9-29, SWP 23.9.1974 SPD: Kienzle-Museum künstlerisch wertlos. Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Dr. Schieler fragt nach.))

Heimat- und Uhrenmuseum, Hellmut-Kienzle-Sammlung (Foto: Michael Kienzler)

Heimat- und Uhrenmuseum, Hellmut-Kienzle-Sammlung (Foto: Michael Kienzler)

Nicht nur bei Kienzle lösten diese Berichte über die Anfrage des SPD-Abgeordneten Schieler Empörung aus, man sah diese im Zusammenhang mit Bestrebungen im Kultusministerium „den Kauf – trotz Ministerratsbeschluß – auf unterer Ebene weiter zu torpedieren“. (( A.a.O.)) Angeblich hatte der Beschluss die zuständigen Ministerialbeamten im Kultusministerium verärgert, die der Meinung waren, der Minister könne hier nicht alleine entscheiden, sondern müsse die Zustimmung von fünf Landesmuseumsdirektoren einholen, die üblicherweise die Toto-Lotto-Mittel ausgeben durften. Kienzle konterte prompt auf diese Meldung, es gebe auch in Amerika „potente“ Käufer für die Sammlung. (( Siehe dazu StAVS 4.9-29 SWP 23.9.1974, Dieter Frauenheim: Um den Uhrenkauf gibt’s Krach/ Kienzle-Museum ein Zeitzünder? Stgt Zeitung 28.9.1974, Eine kunterbunte Sammlung aus Schwenningen. Alte Uhren anstelle von Kunstwerken.- Es gibt Streit, ob Lottomittel verwendet werden dürfen. Die Uhren seien keine Spitzenkunstwerke. Die Landesregierung ist bereit 9,5 Mill. zu zahlen, allerdings soll die Summe noch von einem Oberkonservator überprüft werden. Mit dem Geld sollen auch die 1900 Arbeitsplätze bei Kienzle erhalten werden.))

„Staatliche Kunstförderung braucht eine gesunde Wirtschaft“

Für Finanzminister Gleichauf war die Sachlage allerdings klar: „In einer Zeit, in der erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten den Blick in die Zukunft verdüstern, sei es ein Gebot der Stunde, staatliche Aufgaben verschiedener Art möglichst auf einen Nenner zu bringen und vertretbare Kompromisse zu schließen.“ Gleichauf: „Die an unseren staatlichen Kunstsammlungen Interessierten sollten deshalb nicht vergessen, dass die staatliche Kunstförderung überhaupt nur auf der Grundlage einer gesunden Wirtschaft und geordneter Einkommensverhältnisse so breiter Schichten möglich ist.“ (( StAVS 4.9-29 SWP 1.10.1974, Auch ein Veto der fünf Direktoren fürchtet der Finanzminister nicht. Gleichauf: Kauf des Uhrenmuseums ein Sonderfall – Schätzpreis sechs Millionen Mark. Oberbürgermeister Gebauer sieht in einer Verlegung des Schwenninger Museums nach Furtwangen eine Brüskierung des Oberzentrums.))

Aber nicht nur über den künstlerischen Wert der Sammlung wurde gestritten, sondern auch darüber, ob es sich bei dem Kauf der Uhrensammlung um nicht systemkonforme Gewerbeförderung bzw. um staatliche Investitionslenkung durch die Hintertür handle? (( StAVS 4.9-29, Stgt. Zeitung 5.10.1974 S. 13, Georg Heller: Kienzle Uhren mit Staatshilfe?- Investitionslenkung hinter vorgehaltener Hand. Die Sicherung von zweitausend Arbeitsplätzen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.))

Die Stuttgarter Zeitung argumentierte: „Alfred Kreidler ist nicht nur Eigentümer des Kapitals der Kienzle Uhrenfabriken, sondern vor allem Eigentümer der Kreidler Gruppe, die –soweit bekannt – einer der größten Halbzeughersteller der Bundesrepublik ist und einen Namen in der Produktion von Zweirädern hat. Als NE-Metall-Halbzeughersteller ist Kreidler bedeutender Zulieferer der Uhrenindustrie. Die ganze Gruppe – soweit bekannt – einschließlich Kienzle Uhren beschäftigt vermutlich über 5000 Personen und setzt schätzungsweise zwischen 300 und 400 Millionen DM um. Die Unternehmensgruppe wäre nach dem Publizitätsgesetz zur Veröffentlichung von Bilanz- und Umsatzzahlen verpflichtet, wenn die Rechtskonstruktion nicht so gewählt wäre, daß die Gruppe der Rechnungslegungspflicht gegenüber der Öffentlichkeit doch entgeht. Alfred Kreidler hat sich immer auf den Standpunkt gestellt, dass die Zahlen seiner Unternehmen die Öffentlichkeit nichts angehen. Er wird sich jetzt die Frage gefallen lassen müssen, wie konsequent er auf dem Standpunkt beharrt, daß ein Unternehmen eine Privatsache sei.

Sollen Unternehmensverluste mit Steuergeldern sozialisiert werden?

Die Öffentlichkeit wird sich, wenn der Staat dem Unternehmen nun finanzielle Hilfestellung geben soll,  dafür interessieren, ob Kreidler den Uhrenfabriken Kienzle nicht zuvor Gewinne entnommen hat, während für den Verlust nun der Steuerzahler aufkommen soll. Die Antwort der Geschäftsführung auf solche Fragen sind sehr vage: … Seit mindestens zwei Jahren macht das Unternehmen Verluste … Wenn das Land die Vergabe einer Staatsbürgschaft und eines Kredits an die Kienzle Uhrenfabriken prüft, dann muß es jedenfalls auch prüfen, ob nicht zunächst der in der Schweiz lebende Alfred Kreidler einige Nummernkonnten auflösen muß, ehe die Verluste seiner Unternehmen mit Steuergeldern sozialisiert werden.“

Die Problemursachen waren für den Autor des Artikels grundsätzlich ganz normale Unternehmerrisiken. In der Krise würden eben bei einzelnen Unternehmen Strukturschwächen sichtbar und der Staat müsse sich die Frage stellen, „ob er in den marktwirtschaftlichen Strukturbereinigungsprozess eingreifen darf.“ Dies seien entscheidende Fragen, die sich die Prüfer bei der Prüfung der Kreditwürdigkeit der Firma Kienzle stellen müssten.

Aber: Es gehe um den Erhalt von zweitausend Arbeitsplätzen und Kienzle brauche offenbar eine weitere „Überbrückungshilfe“.

Falls die Verantwortlichen im Finanz- und Wirtschaftsministerium der Meinung seien, der Staat müsse eingreifen, dann solle man sich dort klar machen, dass Junghans, Mauthe und andere ebenfalls Anspruch auf Staatshilfe hätten.

Kienzle könne nicht mit seiner angeblich „modernsten Großuhrenfertigung“ argumentieren. „Wenn dies als Argument für die Bevorzugung gegenüber anderen, weniger modernen Unternehmen gelten sollte, dann wäre es neuerdings offenbar der Staat und nicht mehr der Markt, der über den Erfolg von Produkten und Unternehmen entschiede. Welche Antworten wollen Regierung und freie Unternehmer der gewerkschaftlichen Forderung nach Investitionskontrolle noch erteilen, wenn sie auf solche Weise Investitionslenkung hinter vorgehaltener Hand praktizieren?“

Kann Staatshilfe ohne Folgen für das Privateigentum sein?

Der Autor endet: „Vermutlich wird Kienzle trotz all dieser Bedenken Staatshilfe bekommen müssen – zur Erhaltung von zweitausend Arbeitsplätzen und unersetzlichem Know-how. Aber kann das, wenn die privatwirtschaftliche Ordnung glaubwürdig bleiben will, ohne Konsequenzen für das Eigentum an dem Unternehmen bleiben?“

Folgerichtig gab es eine weitere SPD-Anfrage an den Wirtschaftsminister Eberle durch die SPD-Abgeordneten Hans Beerstecher und Adam Berberich. Sie wollten wissen, „in welcher Weise die Landesregierung die Verwendung der Kaufsumme gesichert [habe] und wie die Wirtschaftsverwaltung den Einsatz der Mittel kontrollier [e].“ Begründet wurde diese SPD- Initiative mit einer Äußerung des Kultusministers auf eine SPD-Anfrage, in der es hieß: „Eine Garantie der Firma Kienzle, daß ihre Arbeitsplätze erhalten bleiben, falls die Uhrensammlung durch das Land gekauft wird, gibt es nicht und kann es der Natur der Sache nach auch nicht geben.“ (( StAVS 4.9-29, SWP 6.11.1974. Kaufpreis für Uhrenmuseum soll Arbeitsplätze sichern. SPD fordert Kontrolle über Verwendung des Geldes.))

Silberne Spindeltaschenuhr, Frankreich / Schweiz, um 1810. Copyright: Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen

Silberne Spindeltaschenuhr, Frankreich / Schweiz, um 1810. Copyright: Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen

Das Thema Staatshilfe für Kienzle-Uhren sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Für die „Welt“ hatte die Uhrenfabrik Kienzle eine erfolgreiche Umstrukturierungspolitik in Gang gebracht. Man habe von lohnintensiven mechanischen Uhren auf elektromechanische, elektronische und Uhren mit Quarz-Antrieb umgestellt, was erheblich niedrigere Lohnkostenanteile verursache. Die Welt sah hier positiv, dass Kienzle durch seine aktuellen Modernisierungen, Rationalisierungen, die Neuausstattung der Fertigungsanlagen und die technologischen Fortschritte des Unternehmens,  immerhin den Lohnkostenanteil von angeblich 60 Prozent auf 30 bis 40 Prozent gedrückt habe.

Dies alles habe einen enormen Kapitalbedarf erfordert, wofür „Sicherungen durch Kreditgeber und Finanzhilfen durch das Land Baden-Württemberg“ gebraucht würden. Eine mögliche Finanzhilfe des Landes über eine Bürgschaft betrage 10 Mill. DM und der Verkauf des Uhrenmuseums an das Land werde Kienzle nochmals 9,5 Mill. DM einbringen.

VDU: Es liegt keine staatliche Sonderbehandlung für Kienzle vor!

Nach Überzeugung des Kienzle-Direktors Schubert eher bescheidene Summen. Er war angeblich der Meinung: „Das Uhrenprogramm der Landesregierung entspricht etwa dem Mann, der einem Ertrinkenden eine neue Badehose anbietet.“ Auch der Verband der Deutschen Uhrenindustrie sah keine Sonderbehandlung der Firma Kienzle : „Für die Uhrenindustrie gibt es keine speziellen Mittel, sondern nur die Möglichkeit, allgemeine staatliche Finanzierungsmittel, die allen anderen Unternehmen ebenfalls zugänglich sind, in Anspruch zu nehmen. Wer aber zum Beispiel eine neue Maschine für 100 000 Mark kaufen möchte, dem nützen 10 Prozent Staatszuschuß wenig, wenn er die restlichen 90 000 wegen der angespannten Liquiditätslage nicht zur Verfügung hat.“ (( StAVS 4.9-29. Die Welt 5.2.1975. Walter H. Rueb: Jetzt schlägt Quarz die Stunde. Kienzle-Uhren GmbH rüstet zum Wettkampf am Weltmarkt. „Die Firma produziert in ihren drei Schwenninger Betrieben mit 1780 Beschäftigten täglich rund 25 000 Fertiguhren und Werke und erzielte 1973 einen Gesamtumsatz von 88 Mill. DM; 1974 wurde ein Umsatz von 81 Mill. DM erzielt.“))

Im Februar 1975 war der Museums-Deal mit dem Land aber immer noch nicht vom Tisch. Die Verhandlungen mit dem „seit Monaten kurzarbeitenden Unternehmen“ stockten. Kreidler verweigerte den „drei von der Landesregierung bestellten Obergutachtern den Zutritt zu den Museumsräumen“. ((SWP 13.2.1975. Kienzle läßt Gutachter vor der Tür – Ist das Uhrenmuseum nicht mehr feil? Mit „Dauerkrankheit“ Verhandlungen verzögert – Das Land: Wir wollen kaufen.))

Der Leiter des Museum, Paul Melchger, sei angeblich krank. Und in Stuttgart wunderte man sich, dass Kienzle plötzlich so viel Zeit habe, wo man im vergangenen Herbst eine finanziell so angespannte Lage hatte, daß man dem Land mit einem Verkauf der Sammlung nach Amerika drohte. Damals „wurde der Ministerrat unter Vorsitz von Ministerpräsident Filbinger geradezu zu einer Eilentscheidung zugunsten von Kienzle gezwungen“ (( A.a.O.))

Poker um die Uhrensammlung: 2. Runde

Nachdem Kreidler die Kienzle-Geschäftsführung im März 1975 komplett ausgetauscht hatte (( Im März 1975 wird die Geschäftsführer Heinrich Hoffmann, Dr. Konrad Schubert und Viktor Storz entlassen. Schwabo 13.3.1975 und FAZ 14.3. 1975 Dafür werden Dr. Hans Börger von den Aluminium-Walzwerken Singen und Alfred Reiff Geschäftsführer.)) , eröffnete das Unternehmen im Juni 1975 die nächste Runde des Museumspokers. Der Geschäftsführer Dr. Helmut Börger teilte der Presse am 4. Juni 1975, daß der Auktionstermin auf den 30. September (( Laut Peter Ineichen: „Helmut Kienzle Uhrenmuseum oder die Sammlung die nicht zur Versteigerung kam“ (Auktionskatalog Nr. 93 ) Zürich 1984. S. (1) war als Termin der Auktion der 25./ 26. September 1975 in Zürich vorgesehen.)) festgesetzt sei. Die Firma wolle wenigsten Teile (( Stuttgarter Zeitung v. 7.7.1975. Nach Börger sollten am 20.September als erste Tranche die 500 wertvollsten Stücke in Zürich versteigert werden.)) versteigern, und rechne mit sechs bis acht Millionen DM Erlös. Das Land könne ja mitsteigern, so Börger. „Wie gering die Chance [sei], das Museum noch als ganzes zu erhalten, skizzierte Börger an einem Beispiel: ‘Wenn heute der Schah von Persien käme, das Museum seiner Frau als Geschenk zum Hochzeitstag machen wollte und dafür 15 Millionen Mark zahlt, dann ist die Versteigerung schon vorbei.‘“ Gleichzeitig kündigte Börger weitere Entlassungen an. (( SWP 5.6.1975 Nur der Schah von Persien könnte noch helfen. Kienzle-Uhrenmuseum wird in Zürich einzeln versteigert/ Land aus dem Rennen.))

Die Uhren-Sammlung sollte in Zürich von dem Auktionator Peter Ineichen versteigert werden. Dieser schätzte, daß man auf diese Weise – durch Einzelversteigerung – zwischen 10 bis 15 Millionen DM zusammenbringen würde (( SWP 19.6. 1975 Dieter Frauenheim: Kienzle läßt die Uhren im Museum nun versteigern. Übernahmeverhandlungen mit dem Land gescheitert.)) Man habe Verkaufsverhandlungen mit dem Schah von Persien, einigen Ölscheichs aus Saudi-Arabien und mit amerikanischen Konzernen geführt. Die Gläubigerbanken, denen die Sammlung bereits verpfändet worden war – hätten zugestimmt. Letztere waren natürlich an einem möglichst hohen Verkaufserlös interessiert.

Die vom Land bestellten Obergutachter hielt man bei Kienzle für befangen. Besonders verärgert war man über die Landtagsanfrage des SPD-Abgeordneten Schieler in dieser Angelegenheit. Außerdem tauchte eine Pressemeldung auf, das Land wolle nur noch 5 Millionen zahlen, weil die Sammlung nicht mehr wert sei.
Bereits einen Tag später wurde diese Meldung von Kienzle dementiert. Es habe kein Verkaufangebot des Landes für 5 Millionen gegeben. (( SWP 19.6.1975 Uhrenmuseum ade?)) Das Unternehmen sei daran interessiert, das Museum im Ganzen zu verkaufen und der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg zu erhalten. Wenn es allerding bis Herbst keine Einigung gebe, dann werde in Zürich versteigert. (( SWP 20.6.1975, Kienzle: Kaufgespräch mit dem Land über Uhren-Museum nicht gescheitert. Unternehmen möchte Sammlung in der Region belassen sehen/ Droht Versteigerung?))

Das Land steht zu seinem 9,5 Millionen-Angebot

Finanzminister Robert Gleichauf mischte sich umgehend reichlich verärgert in die erneute Debatte ein. Kienzle solle endlich die amtlichen Gutachter ins Schwenninger Museum lassen. Das Land stehe nach wie vor zu seinem 9,5 Millionen-Angebot. Dies sei allerdings auch das Höchstgebot des Landes. Gleichauf bemerkte wörtlich: „ich bin sehr, sehr betrübt über die Entwicklung der ganzen Angelegenheit. Wir haben- weiß Gott – unseren guten Willen bekundet, um die Sammlung in der Raumschaft zu halten und der Firma Kienzle, die in Bedrängnis geraten ist, eine gewisse Hilfe (durch den Ankauf) zur Absicherung von (2000) gefährdeten Arbeitsplätzen zu geben.“ ((StAVS 4.9-29.  SWP 21.6.1975, Dieter Frauenheim:Das Land steht nach wie vor zu seinem 9,5 Millionen-Angebot. Gleichauf: Die Firma Kienzle soll endlich einen amtlichen Gutachter, der den Wert der Sammlung schätzen kann, ins Schwenninger Uhren-Museum lassen.))

Noch Ende Juni bat Kienzle darum, die Verhandlungen bis Anfang September auszusetzen (( StAVS 4.9-29. SWP 25.6.1975 Verhandlungen über Verkauf des Uhrenmuseum vertagt. Kienzle will Sammlung an Privatinteressenten veräußern. Versteigerung in Zürich? – Gleichauf ‚unangenehm berührt‘.„ Die Verhandlungen zwischen dem Land und der Firma Kienzle … sind vorerst gestoppt. In gleichlautenden Schreiben an das Kultus- und das Finanzministerium hat Kienzle gebeten, die ‚Verkaufsverhandlungen bis Anfang September auszusetzen.‘ Beide Ministerien haben dem Vorschlag zugestimmt.“))

Figurenuhr mit 'Mohr' als Automat, Süddeutschland, Ende 17. Jahrhundert. Copyright: Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen

Figurenuhr mit ‚Mohr‘ als Automat, Süddeutschland, Ende 17. Jahrhundert. Copyright: Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen

Der Stuttgarter Zeitung gegenüber erklärte die Firma (( StAVS 4.9-29, Stgt. Ztg. 26.6.1975, Kienzle-Uhren wollen Zeit gewinnen. Uhrenmuseum soll mindestens 12 Millionen bringen. Das Schwenninger Unternehmen erhofft sich einen höheren Erlös als den vom Land gebotenen Kaufpreis – eine Auktion wird erwogen.)) , die Uhrensammlung solle nicht an das Land für 9,5 Millionen Mark verkauft werden, man verspreche sich, daß man bei einer Einzelversteigerung zwölf Millionen Mark erzielen könne. „Manche Abgeordneten“ im Landtag bedauerten diese Entscheidung, aber bei „einem Wettbieten mit reichen Millionären“ könne man nicht mithalten. Weiter berichtete die Zeitung, dass ein Schweizer Uhrensammler der Sammlung einen Wert von 6 Millionen Mark gab. Das Unternehmen befürchtete nach Meinung der Stuttgarter Zeitung, dass weitere „zu niedrige“ amtliche Schätzungen den Wert der Sammlung beeinträchtigten und die Chancen auf einen möglichst hohen Erlös bei einer Versteigerung durch den Kunsthandel erheblich verschlechtern würde.

Kienzle braucht dringend Geld

Bei Kienzle gab es immer noch Kurzarbeit, das Unternehmen brauchte Geld, viel Geld. Man musste die Sammlung so teuer wie möglich verkaufen, da waren in der Presse kursierende Zahlen, dass sechs Millionen ein schöner Preis sei, äußerst contra produktiv. Kienzle würde „offenbar ganz bewußt auf zwei Klavieren spielen“. Einesteils lasse man eine Auktion vorbereiten, andererseits werde das Land „als derzeit potentester Interessent nicht endgültig abgewiesen“. Die Stuttgarter Zeitung war allerdings überzeugt, dass es keinesfalls erwiesen sei, dass bei einer Aktion mehr als 9,5 Millionen Mark eingenommen werden könnten. Zusätzliche Einbußen wurden auch vom Auktionator verursacht, der 15 Prozent des ersteigerten Erlöses erhalte. (( StAVS 4.9-29, Stgt. Ztg. 24.7.1975, Pokert Kienzle? Ein weiterer Artikel: Höchstbeträge nur für wertvolle Stücke der Uhrensammlung: Die Auktion muß für Kienzle kein Vorteil sein. Mehr als den vom Land gebotenen Höchstbetrag bringen auch Versteigerungen kaum – Vorbereitungen in Zürich schon sehr weit gediehen.))

Dieser Einschätzung schlossen sich wohl auch die Kienzle-Geschäftsführung und der Auktionator in Zürich an. Das Land solle sich bis zum 20 August entscheiden, „ob die wertvolle Uhrensammlung mit einem Kostenaufwand von 8,5 Millionen DM plus 5,5 Prozent Mehrwertsteuer der Bundesrepublik Deutschland bzw. dem Südweststaat erhalten bleiben kann“. ((StAVS 4.9-29. SWP 13.8.1975 Im Rennen um das Schwenninger Uhrenmuseum erhielt das Land eine ‚Startvorgabe‘ von 8,5 Millionen. Kienzle-Uhren macht dem Land Avancen. Neue Situation, neue Überlegungen – und keinen schlechten Chancen/ Entscheidung bis 20. August?))
Selbst der Welt am Sonntag vom 17.8.1975 war die Nachricht, dass Kienzle wieder auf das Land zuging, einen großen Bericht unter der Überschrift „Kienzle schlägt die Stunde“ wert. ((StAVS 4.9-29. Welt am Sonntag 17.8.1975, Kienzle schlägt die Stunde. „Um wieder in Gang zu kommen, will Deutschlands zweitgrößter Uhrenhersteller Kienzle sein weltberühmtes Werksmuseum verkaufen.“))

Am 19. 8 wurde in Schwenningen wieder verhandelt ((StAVS 4.9-29.  SWP 20.8.1975, Kienzle und das Land bewegen sich aufeinander zu. Kaufverhandlungen über Uhrenmuseum voraussichtlich heute zu Ende.)) „Als Vertreter des Kultusministeriums leitete Ministerialdirektor Dr. Steinle die Delegation des Landes. Er wurde begleitet von Ministerialrat Dr. von Alberti. Vom Finanzministerium saßen Ministerialrat Breitmaier und der persönliche Referent von Minister Gleichauf am Tisch. Als Experten in Sachen Technik und Wert des Uhrenmuseums hatte die Regierungsdelegation Professor Dr. Mühe aus Furtwangen mitgebracht. Der Bankenpool war vertreten durch Direktor Bentele von der Deutschen Bank in Schwenningen und Direktor Maier von der Württembergischen Bank in Stuttgart. Auf Seiten von Kienzle sprachen Dr. Geiseler als Bevollmächtigter des Aufsichtsrats und Geschäftsführer Dr. Hans Börger.“

Das Land Baden-Württemberg erwarb die gesamte Uhrensammlung mit 1565 Einzelstücken. Das Land zahlte 8 Millionen, der Auktionator hatte bereits Kosten von 150 000 DM verursacht. Eine abschließende Erklärung des Finanz- und des Kultusministeriums brachte die Hoffnung zum Ausdruck „daß es gelingen [werde], den mit der Veräußerung der Sammlung verbundenen Liquiditätszufluß zur Konsolidierung der Firma Kienzle und damit zur Sicherung von Arbeitsplätzen zu verwenden.“ (( StAVS 4.9-29. SWP 21.8.1975, Kienzle-Uhrensammlung bleibt komplett erhalten. Land stieg mit acht Millionen ein. Verkaufserlös fließt vermutlich ganz an die Banken.))

Bei den innerbetrieblichen Konflikten um die laufenden Entlassungswellen erklärte der Geschäftsführer Dr. Börger demgegenüber, dass es keine Verbindung mit dem Museumsverkauf und den bereits angekündigten Entlassungen von 250 Mitarbeitern noch für das Jahr 1975 gebe. „Diese Entlassungen seien ungeachtet des Verkaufserlöses notwendig.“ Der im Verhältnis zu den erwarteten 12- 15 Millionen niedrigere Verkaufserlös habe außerdem Auswirkungen auf die Verhandlungen über den Sozialplan für die zu kündigenden Kienzle-Mitarbeiter. Die Abstandssummen seien wohl direkt an die Hoffnung an einen höheren Verkaufserlös „gekoppelt“ gewesen. ((StAVS 4.9-29. Schwabo 21.8.1975, Mit dem Verkauf des Museums ist es nicht getan. Kienzle-Uhren zapft weitere Geldquellen an. Land zahlt acht Millionen/ Damit werden Schulden getilgt/ Kienzle verkauft Immobilien und ‚kow-how‘. Weitere Verbesserungen der Liquidität wurden erreicht: „So wurde das Werk III an die Firma Hummel vermietet und das Grundstück in der Schützenstraße, Stadtbezirk Schwenningen, an die Firma Pfannkuch verkauft, die dort ein Ladengeschäft eröffnen wird. Ferner stehen der Firmenleitung die betriebseigenen Wohnungen zur Disposition, es ist geplant, diese Wohnungen zu veräußern. Die Firma ist weiter bestrebt, ihr ‚know-how‘ (ihr technisches Wissen im Bereich der Uhrenfertigung) ins Ausland zu verkaufen. Ungeachtet dieser Bemühungen, von den bestehenden, die Bilanz belastenden Verbindlichkeiten herunterzukommen, ist es jedoch das erklärte Ziel von Dr. Börger, das Unternehmen über die Produktion in die schwarzen Zahlen zu bekommen.“ Stgt. Ztg. 22.8.1975, Die Firma Kienzle plant außerdem Veräußerungen von Grundstücken. ein Gelände soll für mehrere Millionen Mark an die Firma Pfannkuch gehen. Ein Teil der Werkswohnungen soll an die Mitarbeiter verkauft werden.))

Trotz Verkauf der Uhrensammlung soll jeder 7. Kienzleaner entlassen werden

Von den geplanten Entlassungen war jeder siebte bei Kienzle betroffen. ((StAVS 4.9-29. SWP 22.8.1975, Sozialplan vereinbart. Jeder Siebte bei Kienzle betroffen. Schwabo 22.8.1975. Es bleibt dabei: jeder 7. Kienzleaner muß gehen. Betriebsrat befürchtet weiteren Personalabbau. IG-Metall Mayer zur Belegschaft: auch die restlichen Arbeitsplätze sind nicht sicher/ Konflikt-Stimmung.)) In einer Betriebsversammlung für die verblieben 1634 Belegschaftsmitglieder in der Deutenbergturnhalle wurden noch vorhandene Hoffnungen der Belegschaftsmitglieder zerstört, die geglaubt hatten, dass die Millionen des Landes ihre Situation verbessere. Die Geschäftsleitung hielt an ihrem Beschluss fest 250 Beschäftigte in „monatlichen Raten“ zu je 49 zu entlassen. Geschäftsführer Börger stellte außerdem für die Zukunft weitere Entlassungen in Aussicht. Er war zufrieden, der Verkauf des Uhrenmuseums sei „hilfreich“ gewesen, „da damit zugleich auch eine Landesbürgschaft in Höhe von 10 Millionen Mark ausgehandelt worden sei. Damit wolle Kienzle teure Bankkredite ablösen.“ Das Geld selbst – immerhin 8 Millionen DM – ging sofort an ein Bankenkonsortium und brachte dem Unternehmen eine Zinsentlastung von 1 Million DM ein. ((StAVS 4.9-29. Welt 29.8.1975. Hickhack um Kienzles Uhrenmuseum. Das Land zahlt nur 8 Millionen. Das Geld gehe aber an ein Bankenkonsortium. „der so zustande gekommene Schuldenabbau bedeutet für die in roten Zahlen steckende Uhrenfabrik eine Zinskostenentlastung von fast 1 Mill. DM jährlich.“ Die Landesbürgschaft verbessert die Zinsbilanz weiter. Börger würde aber den Personalabbau weiter vorantreiben, sei Ziel sei 1976 mit einem ausgeglichenen Ergebnis abzuschließen. „Vorerst wird bei Kienzle weiter kurz gearbeitet.“ A.a.O. Stuttgarter Zeitung v. 7.7.1975. Zum Banken-Pool gehörten: Württembergische Bank, Deutsche Bank, Dresdner Bank, Württembergische Girozentrale sowie Girokasse-Landessparkasse.))

Taschenuhr aus der Hellmut-Kienzle-Sammlung im Heimat- und Uhrenmuseum in Schwenningen (Foto: Michael Kienzler)

Taschenuhr aus der Hellmut-Kienzle-Sammlung im Heimat- und Uhrenmuseum in Schwenningen (Foto: Michael Kienzler)

Für die Vertreter der Beschäftigten eine schwierige Situation. Hugo Rösch, Kienzle-Betriebsrat, rechtfertigte seine Zustimmung zu der Entlassungswelle damit, „die Geschäftsleitung habe … gedroht, wenn der Betriebsrat nicht den Entlassungen zustimme, könne er gleich den Betriebsschlüssel abholen, und Kienzle werde liquidiert.“ (( A.a.O. SWP v. 22.8.1975 „Der Betriebsrat habe jedoch erst zugestimmt, als auch ein Sozialplan Bestandteil des Unterschriftsguts war. Danach erhalten die gekündigten Kienzleaner über drei Monate hinweg eine Ausgleichszahlung, die sich in der Höhe nach Betriebszugehörigkeit und Lebensalter des Betroffenen richtet.“))

SPD-Opposition: Landesregierung ist auf gewiefte Taktik hereingefallen

Für die Opposition im Landtag war klar, die Landesregierung sei auf „die gewiefte Taktik des Unternehmens“ hereingefallen und habe nach dem Kauf nicht sichergestellt, „daß die Mittel den Arbeitsplätzen der Firma zugute kommen.“ (( A.a.O. SWP v. 26.8.1975 Keine Gegenliebe für Äußerungen des SPD-Fraktionschefs Dr. Schieler.)) Und ein Villinger Gemeinderat wunderte sich, daß der SPD-Abgeordnete Schieler „seinem Parteifreund Dr. Gebauer immer wieder einen Tritt verpasst.“ (( A.a.O.))

Nach dem Erwerb durch das Land Baden-Württemberg ging die Sammlung an das Deutsche Uhrenmuseum in Furtwangen gegen die ausdrücklichen Wunschvorstellungen des Oberbürgermeisters Dr. Gerhard Gebauer Villingen-Schwenningen. Nach einigem Hin und Her erreichte die Stadt Villingen-Schwenningen doch noch, dass sie wenigstens einen Teil der berühmten Uhrensammlung im Schwenninger Heimatmuseum zeigen konnte.

Heimat- und Uhrenmuseum, Hellmut-Kienzle-Sammlung (Foto: Michael Kienzler)

Heimat- und Uhrenmuseum, Hellmut-Kienzle-Sammlung (Foto: Michael Kienzler)

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