Hoffnung auf ein Wunder
Der Sanierungsexperte – 1973/74
Der Bericht der Geschäftsführung über das vergangene Geschäftsjahr 1972 zählte die gleichen wirtschaftlichen Probleme auf, wie in den Jahren zuvor: die Tariflohnerhöhungen von ca. 16 %, der Konjunkturrückgang, die Exporterschwernisse vielfältiger Art, der Ausfall ganzer Exportmärkte und früherer Großabnehmer, der Preiskampf in der Uhrenbranche, die Forcierung des Vertriebs, die Unterpreisverkäufe, das angeschlagene Image der Firma, die Zinserhöhungen, die Zielstreckungen der Kunden, die Finanzierungs- und Liquiditätsprobleme, die Personalreduzierung größeren Ausmaßes und die damit verbundenen innerbetriebliche Umstellungen, die Verwertung von nichtbetriebsnotwendigen Betriebsteilen und der Ausfall von zwei Geschäftsführern.1
Die erhofften Verbesserungen des Vorjahrs blieben aus, bei den neuen Produkten gab es Produktionsschwierigkeiten.2 Die Beschäftigten gingen 1972 von 725 auf 623 und 1973 von 623 auf 491 Personen zurück.
Die genannten Probleme aus dem Jahr 1972 begleiteten das Unternehmen auch 1973. Der Geschäftsführer Dr. Jürgen Jung beklagte außerdem:
„Die politische und wirtschaftl. Gesamtsituation mit den Stabilitätsmaßnahmen und deren monatelanger Diskussion“ verschlechterten die geplanten Diversifikationsbemühungen .
Es gab weiterhin einen „anhaltender Konkurrenz- und Preisdruck“.
Die Abwertung in den Abnehmerländern und zweimalige Aufwertung der DM führte zu 65% Steigerung gegenüber dem Dollar.
Die Politik des teuren Geldes schadete den unter Kapitalmangel leidenden Unternehmen,
die Stagnation auf dem Immobilienmarkt erschwerte den Verkauf von Grundstücken, desgleichen die Krise im Baugewerbe und die Investitionssteuer der Bundesregierung.
Die Personalkosten stiegen weiter um 12 %. Es gab weitere Imageverluste des Unternehmens bei Kunden und Lieferanten. Die angespannte Finanzlage zwang das Unternehmen zu rigorosen Sparmaßnahmen. Auf Notwendiges wurde verzichtet. Wegen der negativen Presseberichte kündigten wichtige Mitarbeiter. Die Lieferanten zögerten weiterhin der Fa. Mauthe Handelsware zu verkaufen. Es kam zu „Umsatzausfall von ca. 300.000.- DM gegenüber dem geplanten Umsatz infolge Nichtaufnahme“ der zugekauften Digitaluhren am Markt.3
Die wirtschaftliche Situation in Deutschland verschlechterte sich weiter. „Unsicherheit, Angst vor der Zukunft, Niedergeschlagenheit und Mißtrauen in die Wirtschaftspolitik in vielen Teilen der Wirtschaft und großen Teilen der Bevölkerung; Konjunktur der Konkurse, Banken-Zusammenbrüche, alarmierendem Ansteigen von Kurzarbeit und Entlassungen; Auftrags-Rückgang und erhebliche Ertragseinbußen in weiten, bisher blühenden Bereichen der Wirtschaft; Weiterem Fortschreiten von Inflation und Vermögensentwertung, Höchstzins-Politik der Banken; Ersatz von wirtschaftlicher Vernunft durch das Regieren von Ideologien, Gruppen-Egoismus, Koalitions-Arithmetik und politisches Taktieren in unserem Lande auf dem Felde der Wirtschaft, Finanz- und Sozial-Politik.“
„Wir können nicht im freien Raum operieren, die wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Situation beeinflusst unsere Lage.“ Erklärte Dr. Jung in seinem Geschäftsbericht für das 1. Halbjahr 1974.4
Der Personalbestand wurde weiter reduziert von 623 auf 487 Personen zum 1.1.1974, im März 1974 waren es noch 474 Beschäftigte.
Die Jahreswende 1973/74 war gekennzeichnet von den Auswirkungen der Ölkrise mit Benzin- und Ölverteuerung, einem Fahrverbot, einer Geschwindigkeitsbegrenzung, einem Engpass bei der „Versorgung mit Plastikprodukten“ sowie erheblichen Verteuerungen auf dem Kunststoffsektor.
Dies führte zu Kaufzurückhaltung bei Einzelhandel und Verbrauchern, zu weiteren Verunsicherung wegen des Konjunkturrückgangs, es gab keine Aufträge in der Bauwirtschaft, der textil- und Autoindustrie, die Kurzarbeit nahm zu, es gab „Enorme Lohnforderungen“ und die Gefahr von Streiks5 .
Am 15.8.1973 ging ein Schreiben der Geschäftsleitung an Gesellschafter, indem mitgeteilt wurde, dass man über eine „namhafte Personalvermittlung“ Kontakt „zu einem sehr bekannten Manager“ bekommen habe. „Es handelt sich um Herrn Dieter Reiber, der über acht Jahre die Geschicke des Hauses Foto-Porst bestimmt hat und diese Firma aus einer sehr prekären Situation zu ihrer heutigen Bedeutung brachte.“ … „Herr Reiber ist nach Kenntnis einiger Daten und Gegebenheiten unserer Firma der festen Überzeugung, daß es machbar sein müsste, das Unternehmen aus der Verlustzone zu führen.“ Dieter Reiber wollte ab 1.9.1973 als Projektmanager für Mauthe vorerst für drei Monate auf Beratungsebene arbeiten, im September mit 60 % Kapazität, ab Oktober/ November mit 100 %.
Der neue Sanierungsexperte hatte nach Ansicht der Geschäftsleitung besondere Stärken in den Bereichen: Personalführung, Planung, Verhandlungsführung, Vertrieb, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit. Außerdem habe er Beziehungen zu Großabnehmern und zur Industrie.
„Er scheint ein besonderes Geschick zu besitzen, Menschen zu begeistern, zu überzeugen und für eine bestimmte Zielsetzung zu koordinieren.“ Dieter Reiber sollte zunächst eine Rohkonzeption zur Firmensanierung vorlegen6 . Die Geschäftsführung versprach sich von ihm eine Imageverbesserung und eine erfolgreiche Sanierungskonzeption. Am 3.9.1973 stellte der Neue seine Überlegungen dem Betriebsrat vor7 .
In den nun folgenden zahlreichen Geschäftsführungsbesprechungen machte Dieter Reiber deutlich, er wolle die Aktivitäten des Unternehmens auf wenige Themen konzentrieren, wie z.B. auf den neuen Batterie Wecker. Deshalb sollte bis auf weiteres die Entwicklung an Quarzuhren eingestellt werden8 .
In der Gesellschafter Versammlung vom 5.11. 1973 in Villingen/ Hotel Ketterer wurde festgestellt, dass die Friedrich Mauthe GmbH nach dem Betriebsverfassungsgesetz keinen Aufsichtsrat mehr brauche, weil die Belegschaft unter 500 Personen gefallen war.
Die Firma habe nun in der Person von Dieter Reiber einen Sanierer gefunden. Die Konzeption von Herrn Reiber überzeugte und wurde einstimmig angenommen. Aktive Verkaufsverhandlungen wurden deshalb nicht mehr verfolgt.
Die Stimmung im Unternehmen hatte sich, obwohl die allgemeine Lage sich eher verschlechtert hatte, erheblich verbessert9 .
In der Gesellschafterversammlung vom 1.4. 1974 „wurde eine starke Sortimentsbeschränkung beschlossen (Reduzierung von 410 Katalog-Modellen auf 240) und ein Umsatzplan mit monatlichem Soll- und Ist-Vergleich beschlossen.“ Außerdem wurden Pläne entwickelt, die Produktion von Mauthe-Uhren nach Portugal auszulagern10 .
Bei Mauthe hatte sich eigentlich nichts geändert, die Rahmenbedingungen waren durch die Ölkrise noch schlechter geworden, die finanziellen Mittel fehlten weiter, weshalb die Gesellschafter gebeten wurden dem Unternehmen ein Darlehen zu gewähren. Das gewährte Darlehen wurde durch Abtretungen von Auslandsforderungen an die Gesellschafter gesichert.
Aber alle wollten glauben, dass Dieter Reiber ein Wunder vollbringen könne. Die FAZ schrieb am 14.8.74: „Während die Firma Kienzle … 180 Mitarbeiter im Verlauf eines Jahres entlassen und zwei Wochen Kurzarbeit einlegen will, hat die … Uhrenfabrik Friedrich Mauthe GmbH Neueinstellungen geplant, um Mitte September ein neues Produkt auf den Markt zu bringen… Wie zu erfahren war, soll die Zahl von 400 Mitarbeitern möglichst rasch durch Fachkräfte aufgestockt werden, die es im Schwarzwald durch die Entlassungen von mehr als 700 Mitarbeitern bei Kaiser-Uhren in Villingen und durch ‚Umstrukturierungen‘ bei Kienzle in Schwenningen und bei Junghans in Schramberg in genügender Zahl gibt.“11
- Bericht über das Geschäftsjahr 1972 S. 1 gez. Jung [↩]
- A.a.O. „Dies gilt für den elektronischen Batteriewecker, die Lieferungen an unseren italienischen Partner und die Produktionsreife eines neuen Kunststoffkleinweckers. Ebensowenig brachte die Forcierung der Quarzuhren die erhofften Absatzzahlen, wie auch im Export eine Belebung durch weitere Behinderungen bes. währungspolitischer Art nicht möglich war. Im Gegenteil, trotz Sonderangeboten mussten wir im Jahr 1972 eine weitere Umsatzeinbuße von 2,140 Mill. (28 %) im Exportgeschäft hinnehmen. Unsere Diversifikationsbemühungen führten zu keinem zählbaren Erfolg.“ [↩]
- Vorschau auf das Geschäftsjahr 1973, S. 1, siehe auch Gesellschafterversammlung v. 1.4.1974, Bericht über das Geschäftsjahr 1973 – Das Jahr 1973 war wiederum sehr verlustreich. Gesamtwirtschaftl, außenwirtschaftl., währungspolitische, Konjunkturelle, politische Datenänderungen und Entwicklungen, sowie eigene Probleme verhinderte die notwendige Umsatzsteigerung auf 20,5 Mio. Es gab nur 17,9 Mio Umsatz, was immerhin einer Steigerung von 11,1 % entsprach. Gründe: „Abflachende Konjunktur in allen wichtigen Abnahmeländern; starke Kaufzurückhaltung in den letzten beiden Monaten des Jahres, zurückzuführen … auf die Ölkrise und das vermehrte Auftreten von Kurzarbeit in vielen deutschen Unternehmen: Anhaltender Preis- und Konkurrenzdruck,Währungsänderung, Zinskostensteigerungen (in nie gekannten Ausmaß), Lohn- und Gehaltstariferhöhungen von 13 %, Starke Materialpreissteigerung, Angespannte Finanzsituation, Image-verlust von Mauthe mit Auswirkungen auf Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten und Banken, Erhebliche Preiszugeständnisse (Lagerreduzierung und Liquiditätsbeschaffung!), laufender Rückgang der Belegschaft“ [↩]
- Bericht über das erste Halbjahr 1974 anläßlich der Gesellschafter-versammlung der friedrich mauthe GmbH, Villingen-Schwenningen, am 30.august 1974, Herr Dr. Jung [↩]
- A.a.O. Am 11.2.1974 Streik im öffentlichen Dienst, 11 Tage später Einigung über 11 % mehr Lohn. Lohnabschlüsse unter 10 % können damit kaum mehr abgeschlossen werden, Richtschureffekt.
Abschluss Tarifgebiet Uhrenindustrie am 4.3.1974 mit 11% ab 1.1.74, , mit 2 % ab 1.12.1974, plus 2 Tage mehr Urlaub., 50% mehr Urlaubsgeld [↩] - Schreiben der Geschäftsleitung v. 15.8.1973 S. 2 [↩]
- A.a.O. S. 3 Herr Reiber soll seine Konzeption auch in einer Betriebsversammlung vorstellen. [↩]
- Besprechung v. 11.10.1973 [↩]
- Protokoll der Gesellschafterversammlung S. 8 [↩]
- Ausarbeitung für die Gesellschafter was eine Auslagerung der Produktion nach Portugal angeht. Schreiben von Mauthe v. 5.4.1974. Die Gesellschafter werden gebeten dem zuzustimmen. Erklärungsformular vorhanden. [↩]
- SAVS 4.9-999, FAZ v. 14.8.1974, Mauthe mit neuem Produkt/ Uhrenfachkräfte gesucht. [↩]