Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

„Wäre die Uhrenfabrik Kaiser zu retten gewesen?“

geschrieben am: 11.12.2014 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Uhrenfabrik Kaiser-Uhren

„Wäre die Uhrenfabrik Kaiser zu retten gewesen?“

fragte Manfred Bossert in der Stuttgarter Zeitung am 13. 7. 1974 und antwortete: „Kaiser-Uhren sei das Opfer eines Ausleseprozesses; in der Marktwirtschaft unterliege nun mal der Schwächere… der größte Hersteller mechanischer Wecker stelle am Tag 25000 Stück (( Vermutlich die Uhrenfabrik Senden (Europa-Uhren) )) her, Kaiser habe aber mit seiner Serie nur bei 3000 gelegen.“ (( IGMetall Geschäftsbericht 1972, 1973, 1974. Verwaltungsstelle Villingen-Schwenningen))
Es sei „ein verhängnisvoller Irrtum“ gewesen, „aus falsch verstandenem Traditionsbewußtsein einem alteingesessenen Familienbetrieb von untadeligem Ruf die Selbständigkeit erhalten zu wollen“, bewertete die Südwest Presse die Situation. ((IGMetall Geschäftsbericht 1972, 1973, 1974. Verwaltungsstelle Villingen-Schwenningen, SWP 10.7.1974 Selbstbewußtsein allein nützt nichts.))
Die Mitglieder der Familie Kaiser entsprachen so ganz dem Bild, das man sich in Villingen von einer sozial verantwortungsbewussten Unternehmerfamilie machte. Diese Darstellung wurde erfolgreich in der Presse und bei den jährlichen Weihnachtsfeiern aufrechterhalten. Die Reden der Geschäftsführung gaben den Anschein einer offenen und transparenten Geschäftsführung, man glaubte, dass die Probleme angesprochen würden. Die Uhrenfabrik Kaiser vermittelte ein grundsolides Bild.
Vielleicht hätte man, den Weihnachtsreden entnehmen können, dass es nicht zum Besten stand, aber wer wollte eine so schlechte Nachricht schon glauben. Jeder ging davon aus, dass man die Stürme schon irgendwie überstehen würde. Man hatte sie ja bis jetzt immer überstanden. Insoweit war der Konkursantrag der Firma Kaiser-Uhren im 122 Jahr ihrer Geschichte ein Schock. Über 600 gekündigte Arbeitnehmer, das musste erst einmal verarbeitet werden. Der Kaiserkonkurs markierte in Villingen-Schwenningen das Scheitern eines paternalistischen betrieblichen Organisationsmodells.
Schuldige wurden schnell gefunden, je nach politischer Interessenlage. Für die Gewerkschaften waren es die Unternehmer und zu loyale Betriebsräte, sowie eine Rechtslage, die die Rechte der Arbeitnehmer hintanstellte. Durch die Erfahrungen des Strukturellen Wandels wurde das Konkursrecht aus dem Jahr 1877 als Folge der zunehmenden Firmenzusammenbrüche in der Bundesrepublik schließlich geändert.
Die Konfliktparteien nutzten die missliche Lage der Industriearbeiter für den politischen Tageskampf. Die Schwenninger Gewerkschaftsfunktionäre versicherten zumindest mit einem stärkeren Betriebsrat, und einem höheren Organisationsgrad (( a.a.O. 1973 hatte die Fa. Kaiser-Uhren bei 630( geschätzt) Mitarbeitern 243 organisierte (S.57), die Fa Mauthe bei 428 Mitarbeitern 385 organisierte IGMetall-Mitglieder (S. 60).)) in der Villinger Metallindustrie hätten sie die Lage für die Arbeitnehmer besser gestalten können.
Die Industrie und ihre Vertreter sahen die Schuld bei den Gewerkschaften, die immer höhere Löhne durchgesetzt und damit die Liquiditätsprobleme überhaupt erst ausgelöst hätten.
Der Verband der deutschen Uhrenindustrie versuchte die Misere möglichst lange klein zu halten. Transparenz war nachgerade geschäftsschädigend. Eine offene Analyse der Situation, wie sie von den Gewerkschaften gefordert wurde, konnte aus dieser Sicht eigentlich nur das Vertrauen in die deutschen Unternehmer untergraben.
Manche gaben die Schuld auch der Politik, die mit den DM-Aufwertungen, der deutschen Exportindustrie geschadet, oder aber den notleidenden Firmen zu wenig (finanzielle) Hilfe gewährt hätte.
Für die betroffenen Arbeitnehmer, die erst einmal keine berufliche Zukunft mehr hatten, war die Lage völlig unverständlich. Sie mussten sogar noch um ihre Betriebsrenten fürchten. Für diese Gruppe ging es am Schluss nur noch darum, dass bei Konkursende noch genug finanzielle Mittel für sie da waren.
Und der Stadt Villingen-Schwenningen wurde von den betroffenen Arbeitern vorgeworfen, sie hätte eine schnellere und damit für alle günstigere Lösung verhindert, weil sie dem ersten Verkaufsvorschlag des Konkursverwalters für das Kaisergelände nicht zugestimmt hatte. (( SAVS 1.16-1998. Schreiben Albert Glunk v. 8.4.1978 an die große Kreisstadt Villingen-Schwenningen. SAVS 4.9 / 1114 Kaiser/ 11.12.1980 Der Konkursverwalter wollte zuerst an eine Handelskette verkaufen, was die Stadt ablehnte. „Schließlich erwarb die Villinger Baufirma Seemann das Gelände für vier Millionen Mark. In das Gebäude wird nach einem grundlegenden Umbau im nächsten Jahr das Finanzamt einziehen.“))
Für alle Beteiligten waren diese Erfahrungen, dass das Wachstum ein Ende hatte, eine völlig neue Erfahrung, die man einfach nicht glauben wollte und die die Akteure zuerst einmal hilflos zurückließ, obwohl seit Mitte der 60er Jahre die Experten vor einer solchen Entwicklung warnten, Untersuchungen angestellt wurden, unter welchen Bedingungen die Uhrenindustrie noch eine Chance hätte unter Berücksichtigung des Wettbewerbs auf dem Weltmarkt. Rezepte gab es viele, teilweise wurden sie auch aufgegriffen, sehr oft zu spät, wie im Fall Kaiser-Uhren.

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