Neue Technologie bringt Rückgang der Arbeitsplätze
Unternehmer herrschen wie biblische Patriarchen?
Im September 1978 wurde der Öffentlichkeit die Töpferstudie vorgestellt. Die Ausschreibung dieser Studie war in einer zweiten Sitzung der AG-Uhren am 26. 3. 1976 beschlossen worden. Das Ziel war nach einer Untersuchung „der Technologie- und Markttendenzen in der Uhrenindustrie“ ((Mackintosch-Studie)) die „Auswirkungen der Technologie-Entwicklung auf Arbeitsplätze und Unternehmen der deutschen Uhrenindustrie“ abzuschätzen. ((StAVS 4.9-419, Diplom-Volkswirt Peter Töpfer Planung und Beratung, Auswirkungen der Technologie-Entwicklung auf Arbeitsplätze und Unternehmen in der deutschen Uhrenindustrie. Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse. Untersuchung, durchgeführt im Rahmen der Förderungsmaßnahmen des Bundesministeriums für Forschung und Technologie – Projekt NT 624 – Rodgau 3 1978 (?) S. 3 Die Töpferstudie ist ein dreibändiges umfassendes Werk. Im Wesentlichen wurde für diese Arbeit die Ergebnisse der Zusammenfassung benutzt.))
Den Auftrag erhielt die Fa. Diplom-Volkswirt Peter Töpfer, Planung und Beratung. Als Grundlage für die Prognosen zur Zukunft der deutschen Uhrenindustrie dienten der Töpfer-Studie die Macintosh –Studie zur Markt- und Technologie-Entwicklung im Bereich der Uhrenindustrie, außerdem zusätzliche Erhebungen bei 80 Unternehmen und Befragungen von 330 Arbeitnehmern sowie vergleichende Untersuchungen im Ausland besonders in Japan und in den USA.
Die Töpfer-Studie lag im September 1978 vor. Am 26. 9. 1978 veröffentlichte der Bundesminister für Forschung und Technologie, eine Presseerklärung, in der zur Situation der Uhrenindustrie unter anderem festgestellt wurde (( StAVS 4.9-414 Presseerklärung vom 19.9.1978 zur Töpferstudie 19.9.1978/ (Sperrfrist 26.9.1978 14 Uhr.) In dieser Presserklärung)) :
„Das ‚Ein-Personen-Management‘ sei die verbreitetste Leitungsform der deutschen Uhrenindustrie. Die[se] Organisationsform der Unternehmen werde den steigenden Anforderungen einer Markt- und Technologieplanung nicht mehr gerecht“. Die Unternehmen hätten keinerlei finanziellen Spielraum mehr, häufig werde auf alten Maschinen produziert und die Arbeitnehmer hätten nur „ein begrenztes Interesse an Vorgängen, die über den unmittelbaren Arbeitsbereich“ hinausgingen. (( A.a.O. Presseerklärung S. 3))
Diese negative Ministerbewertung der Uhrenunternehmer empörte die Verantwortlichen des Verbands der deutschen Uhrenindustrie. (( StAVS 4.9-414, VDU Presseservice und Schreiben der Geschäftsstelle Pforzheim 28.9.1978. An den Bundesminister Dr. Volker Hauff persönlich von Herrn Muhl/ Pforzheim))
Die Presseerklärung sei nicht mit dem Verband abgestimmt. Bei den Ergebnissen der Töpferstudie handle es sich wesentlich um „langfristig prognostizierten Teilergebnissen“, um Annahmen, „die noch nicht eingetreten [seien] und die in den vor uns liegenden acht Jahren auch nicht … eintreten müss[t]en.“ Das Vorgehen des Ministeriums sei unbedacht, vorschnell und nicht abgestimmtes Handeln, welches „unseren ohnehin in hartem Wettbewerb stehenden Firmen noch zusätzlich Schaden durch einseitige Berichterstattung in der Öffentlichkeit“ zufüge.
Die Ministererklärung sei „ein Vertrauensbruch“ und „schädliche Effekthascherei“. (( A.a.O. VDU Presseservice v. 28.9.1978))
„Bereits jetzt schon hätten nach den ersten Veröffentlichungen deutsche Abnehmer ihre Lieferanten angerufen und im Hinblick auf das Weihnachtsgeschäft die Frage gestellt, ob die deutsche Uhrenindustrie es zulasse, dass durch derartige unqualifizierte Auslassungen und dem dadurch verbundenen Vertrauensschwund für deutsche Uhrenerzeugnisse der Käufer lieber zu einem ausländischen Fabrikat greife.“ Die prognostizierten Arbeitsplatzverluste müssten so nicht eintreffen. Die Industrie hätte, um Arbeitsplätze zu sichern, die unterschiedlichsten Diversifizierungsmöglichkeiten begonnen. „Die erläuterungslose Wiedergabe der Feststellung, in der Uhrenindustrie sei das ‚Ein-Personen-Management‘ die verbreitetste Leitungsform, [habe] bei Außenstehenden unwillkürlich den Eindruck erwecken müsse, in der deutschen Uhrenindustrie herrsche noch das biblische Patriarchentum wie zu Zeiten Jakobs.“ In der Großuhrenindustrie würde diese Behauptung nicht zutreffen, in der Kleinuhrenindustrie könnten bei den vorherrschenden Mittel- und Kleinbetrieben akademisch gebildete „Betriebsorganisatoren“ schlicht nicht bezahlt werden, schon deshalb, weil die Uhrenindustrie die gleichen Tarifvereinbarungen akzeptieren müsse, „wie die sich seit Jahren im Boom befindliche Autoindustrie.“ Die Ministermitteilung sei ein „Danaer-Geschenk“ gewesen. „Gerade weil die Bundesrepublik Deutschland der zweitgrößte und interessanteste Absatzmarkt der Welt für Uhrenerzeugnisse sei, befinde sich die deutsche Industrie mit ihren ausländischen Wettbewerbern im härtesten Konkurrenzkampf.“ (( A.a.O.))
Die Ergebnisse der Töpferstudie
Die Töpfer-Studie kam zu folgenden Ergebnissen: Grundsätzlich würden die Auswirkungen der neuen Quarztechnologie die Anzahl der Arbeitsplätze weiter drastisch verringern. Die deutsche Uhrenindustrie müsse aber trotzdem diese Technologie übernehmen, um nicht ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Keine Quarzuhren zu produzieren, diesem Trend nicht zu folgen, würde die Situation der Uhrenindustrie noch erheblich ungünstiger gestalten.
Auch ohne die Einführung der Quarzuhr seien Arbeitsplätze bereits seit der 60er und 70er Jahren durch Rationalisierung und den Abbau der Fertigungstiefe verlorengegangen und diese Entwicklung würde sich fortsetzen. Bis 1977 sei die Quarzuhr nur in geringem Umfang Ursache für die Arbeitsplatzverluste gewesen. Ursache der bisherigen Arbeitsplatzverluste seien mit einem Anteil von rund 90 Prozent der Abbau der Fertigungstiefe, Rationalisierung und Automatisierung sowie Absatzprobleme gewesen. Die zukünftigen Schwierigkeiten, die sich durch die Einführung der Halbleitertechnik in der Uhrenindustrie abzeichneten, seien auch nicht nur auf Deutschland und auf die Uhrenbranche beschränkt.
Für die Zukunft, die Zeit zwischen 1977 und 1985 müsse man weiter mit einer Stagnation der Produktionsmenge rechnen, weshalb der technologiebedingte Verlust an Arbeitsplätzen durch die Umstellung auf die Quarztechnik nicht durch Produktionsausweitung ausgeglichen werden könne. (( StAVS 4.9-419 Töpfer-Studie S. 11))
Auswirkungen auf die Organisation der Unternehmen.
Vor allem im Fertigungsbereich rechnete Töpfer mit einem starken Rückgang der Arbeitsplätze. Von den 60 Teilen der mechanischen Uhr blieben bei einer Quarzuhr mit Analoganzeige noch 40 Teile übrig, 29 mechanische und 11 elektronische. Eine Quarzuhr mit elektronischer Anzeige habe gerade noch 9 Teile, nur drei davon mechanisch. (( A.a.O. S. 14))
Zudem müsse man davon ausgehen, dass die elektronischen Teile zunehmend als „fertig montierte Sets“ zugekauft würden. Diese Entwicklungen würden konsequenterweise zu einer drastischen Reduzierung der Arbeitsplätze in der Uhrenindustrie führen.
Im Produktionsbereich würden gerade „die hochwertigen, schwieriger zu fertigende Teile durch Elektronik ersetzt, was auch einen Verlust an Arbeitsqualität in der Uhrenbranche bedeute. (( A.a.O.))
Die Halbleitertechnik würde aber nicht nur die Uhr selbst, sondern zunehmend auch die Fertigungsprozesse der Unternehmen durch weitere rasante Automatisierung verändern.
In der Zeit von 1972 bis 1977 habe die deutsche Uhrenindustrie 27 Prozent ihrer Arbeitsplätze verloren, für die Zeit von 1978 bis 1985 prognostizierte Töpfer bei konstantem Absatzvolumen zwischen 20 und 50 Prozent Arbeitsplatzverluste.
Entwicklung der Zahl der Beschäftigten in der deutschen Uhrenindustrie: Ist-Entwicklung 1972 - 1977, Prognose 1978 - 1985 (Zahl der Beschäftigten bei konstantem Arbeitsvolumen)
Jahr | Ist-Entwicklung | Prognose / Modell D (wahrscheinliche Entwicklung) | Prognose / Modell A (Extrem-Quarz) | Prognose / Modell E (Quarzanteil konstant) |
---|---|---|---|---|
1972 | 28 400 | |||
1974 | 27 900 | |||
1977 | 20 800 | |||
1981 | 17 020 | 14 150 | 18 830 | |
1985 | 15 410 | 9 450 | 17 970 |
Modell D: Elektronisierungsanteile bei Kleinuhren ca. 50 %, bei Großuhren 65-70 %
Modell E: Quarzanteil konstantbleibend
Aus: Diplom-Volkswirt Peter Töpfer, Planung und Beratung: Auswirkungen der Technologie-Entwicklung auf Arbeitsplätze und Unternehmen in der deutschen Uhrenindustrie. Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse. S. 18
1974 zählte die deutsche Uhrenindustrie 27 749 Beschäftigte, 1979 waren es noch 17 798 Beschäftigte und 1984 waren es 11 253 Beschäftigte.
Die Arbeitsplatzverluste würden vor allem die Großuhrenindustrie treffen, „weil die durch die Elektronisierung besonders gefährdeten unternehmerischen Funktionsbereiche (Werksfertigung und –Montage, Endmontage) in der deutschen Großuhrenindustrie heute noch viel stärker personell besetzt [seien] als in der Kleinuhrenindustrie, sofern noch mechanische Uhren gefertigt w[ü]rden.“ ((A.a.O. S. 20))
Die Töpferstudie rechnete weiterhin mit einer „erheblichen Veränderung in der Berufsbilderstruktur der deutschen Uhrenindustrie.“ Der altbewährte Uhrmacher würde an Bedeutung verlieren der neue Betriebstechniker an Bedeutung gewinnen ((A.a.O. S. 31)) . Möglich sei auch, dass die Arbeit im Fertigungsbereich monotoner werde, die Identifikation mit den Produkten dadurch schwieriger werde und die Arbeitszufriedenheit bei den beschäftigten abnehme.
330 Uhrenarbeiter wurden von den Experten zu den Auswirkungen der „Elektronisierung der Uhr“ befragt. (( A.a.O. S. 34))
Nur ganz wenige Uhrenarbeiter hätten ein tieferes Wissen zu diesem Thema. Die Töpfer-Studie sah bei den Beschäftigten erhebliche Informationsdefizite und eine verbreitete Fehleinschätzung der Situation in den Unternehmen der Uhrenindustrie. (( A.a.O. S. 35))
Man war in aller Regel der Überzeugung, dass das Management die Situation schon im Griff habe.
Problematisch bei der Umstellung auf die Quarzuhr waren nach Töpfer die geringen Betriebsgrößen der Uhrenindustrie im Vergleich zu den japanischen Unternehmen. Bei den kleinbetrieblichen Strukturen sei es schwierig den technologischen Strukturwandel zu bewältigen. Zusätzliche Probleme bereiteten die im internationalen Vergleich hohen deutschen Löhne, die aktuellen Wechselkursverschiebungen, sowie ein im wesentlichen gesättigter Inlandsmarkt. (( A.a.O. S. 37))
Das Absatzvolumen der Uhrenindustrie würde auch in Zukunft eher rückläufig sein (( A.a.O.)) , weshalb der technologisch bedingte Abbau an Arbeitsplätzen nicht durch einen erhöhten Umsatz ausgeglichen werden könne.
Mehr Spezialisten im Leitungsbereich
Der Produktionsbereich in den Unternehmen würde absolut und relativ an Bedeutung verlieren, was weniger Arbeitsvolumen aber auch weniger Arbeitsqualität bedeute. (( A.a.O. S. 16))
Die neue Quarztechnologie erhöhe aber den „Entscheidungsspielraum“ der Unternehmen, eine größere Produktvielfalt mit entsprechenden Marktvorteilen würde möglich. Ebenso könnten Wettbewerbsvorteile durch neue Produktionsprozesse entstehen aber auch durch neue und andere Vertriebswege.
Dies bedeutete, dass „die dem Produktionsbereich vor- und nachgelagerten Bereiche zunehmen“ werden, was eine Personalerweiterung beim technischen und kaufmännischen Management bringen könnte.
Bis 1977 hätten die Unternehmen auch in den Leitungsbereichen Personal abgebaut. Für die Zukunft sagte die Töpfer-Studie aber eine Zunahme von Arbeitsplätzen in den Bereichen Marketing und Vertrieb, technische Produktentwicklung, Planung und Ausgestaltung des Produktionsprozesses voraus. (( A.a.O. S. 23)) Dies könne einen Effekt von 5 bis 8 Prozent der Arbeitsplätze des Jahres 1977 ausmachen. (( A.a.O.))
Wachstumsmöglichkeiten sah die Studie auch für den Reparaturbereich. Hier könnten auch „überflüssige“ qualifizierte Fachkäfte aus der Fertigung eingesetzt werden.
Man brauche in Zukunft mehr Schulungen, mehr Spezialisten im mittleren Management. Dieser Bedarf würde schließlich dazu führen, dass der Anteil der Angestellten zunehme, die Facharbeiter aber abnehmen würden (?). Eine Zunahme sagte Töpfer für die an- und ungelernten Beschäftigten voraus.
Engpass: der Chef
Große Probleme bei Anpassung an die technologische Entwicklung würden vor allem durch die spezifischen Unternehmensorganisationen der klein- und mittelbetrieblichen Unternehmen verursacht.
„An der Spitze steht in der Regel eine Person, der ‚Chef‘, mit einem breiten Bündel an Funktionen, die von ihm abzudecken sind. Seine wichtigsten Mitarbeiter sind der ‚Meister‘ für den Produktionsbereich, der ‚Buchhalter‘ für den kaufmännischen Bereich“… „Wie in anderen mittleren und kleinen Unternehmen auch, sind Mitarbeiter, die einzelne Funktionen … als Spezialisten abdecken, relativ wenig vertreten, weder im kaufmännischen noch im technischen Bereich: Die Regel ist vielmehr, dass jeder Mitarbeiter mehrere Funktionen nebeneinander abzudecken hat.“
Diese Situation gelte „ganz besonders für den ‚Chef‘ in Kleinbetrieben. Die Zahl der Funktionen, die dieser bis zur letzten Entscheidung hin abzudecken hat, ist groß, die Engpassbedeutung des ‚Chefs‘ ist erheblich. Vor- und Nachteile der Multi-Funktionsabdeckung kommen hier besonders zum Ausdruck.“
Diese traditionelle Betriebsorganisation könnte die neuen Entscheidungsspielräume, die durch die technologische Entwicklung möglich würden gar nicht nutzen.
Die neue Technologie würde den Entscheidungsspielraum der Unternehmen erweitern. Völlig neue Antworten seien möglich auf die Fragen: Wie sollen die Uhren technisch, funktional und im Design verändert werden? Können die Produktionsprozesse weiter automatisiert, verkettet und „elektronisiert“ werden? Können die Anforderungen des Marktes im Produkt-, Vertriebs- und Servicebereich besser befriedigt werden.
Um hier neue Wege zu gehen, benötigten die Unternehmen aber mehr spezialisiertes Wissen, was in den aktuellen Unternehmensstrukturen oft nicht zur Verfügung stehe. Die deutschen Unternehmen brauchten deshalb vermehrt unterschiedlichste Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten.
Allen Entwicklungsaktivitäten aber stehe die schwache Eigenkapitalausstattung der Uhrenunternehmen entgegen.
„Insgesamt steht daher zu befürchten, dass es nicht wenigen Unternehmen unmöglich sein wird, die erforderlichen Investitionen aus eigener Kraft zu tätigen. Daraus werden sich erhebliche negative Konsequenzen für ihre Wettbewerbsfähigkeit ergeben, wobei insbesondere die unterlassenen Personalinvestitionen sich negativ auswirken werden. Hilfe von außen tut daher Not.“ Man sei hier auf Innovationsberatungsstellen etc. und andere öffentliche Mittel angewiesen. (( A.a.O. S. 46))
Die Autoren der Töpfer-Studie waren der Meinung, dass die anliegenden Probleme nur durch eine Kombination von „Maßnahmen auf kooperativer Basis“, von Beratung durch externe Stellen und durch staatliche finanzielle Unterstützung zu bewältigen seien.
Abhängig sei die Entwicklung natürlich auch von den zukünftigen Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft, den Währungsrelationen, und den Personalkostensteigerungen. (( A.a.O. S. 51))
[…] Zur Analyse der Wirtschaftskrise wurden zwei Studien ausgeschrieben: eine Studie über die „Technologie und Markttendenzen in der Uhrenindustrie“ (Mackintosh-Studie) und eine sozialwissenschaftlichen Begleitstudie „Auswirkungen der Technologie-Entwicklung auf Arbeitsplätze und Unternehmen in der deutschen Uhre….9 […]