Kienzle Uhren im Ersten Weltkrieg.
Uhren und Zünder
Mechanische Uhren faszinieren die Menschen. Die Freude an solchen mechanische Uhrwerken, dies gilt nicht nur für die Uhren der vorindustriellen handwerklichen Periode sondern auch noch für die industriell gefertigten Wecker und Regulateure. begeistert. Kein Mensch denkt dabei an Krieg an Zünder oder an Rüstungsindustrie.
Dass die Fertigung von Uhren und die Fertigung von Zündern aber sehr viel miteinander zu tun haben, zeigt der Werdegang des Johannes Bürk, der sich 1854 auf der Weltausstellung in Paris mit mathematischen Geräten, mit Schrapnellzündern und Uhren anmeldete. 1
Ein Protokoll aus dem Jahre 1851 weist uns darauf hin, dass Johannes Bürk bereits damals Versuche mit Schrapnell- Zünder vorführte.
1851 war Deutschland noch überwiegend ein Agrarland, dies sollte sich schnell mit der Industrialisierung ändern.
1913 zweitstärkstes Industrieland
Bereits zwischen 1880 und 1900 lag das Kaiserreich im Vergleich der damaligen Industrieländer an dritter Stelle, nach den USA und Großbritannien, 1913 wurde auch Großbritannien überholt.
Im Bereich der Großuhren war Deutschland neben den Vereinigten Staaten Weltmarktführer. Doch während die nordamerikanischen Uhren weitgehend für den Inlandsmarkt bestimmt waren, wurde ein großer Teil der Schwarzwälder Produktion exportiert.2
An der deutschen Gesamtindustrie nahm die Uhrenproduktion aber nur einen bescheidenen Anteil ein. Die Uhrenindustrie war auf wenige Regionen konzentriert und spielte deshalb nur lokal eine bedeutende Rolle. 3
Nach dem steilen Aufschwung im Kaiserreich begann bereits um den Ersten Weltkrieg der Niedergang der deutschen Uhrenindustrie. 4
Wechsel von Friedens- auf Kriegswirtschaft
Der Erste Weltkrieg begann für die heimische Uhrenindustrie mit Auftragsrückgängen und Arbeitslosigkeit, was aber durch die rasch einsetzenden Rüstungsaufträge bald aufgefangen werden konnte.
Der erste Weltkrieg, ein Krieg, in dem zum ersten Mal der Fortschritt der industriellen Fertigung zum Einsatz kam, benötigte Unmengen von Granaten, Bomben, die alle mit Zündern ausgerüstet waren, und mechanische Zünder ähnelten in ihrem Aufbau einem Uhrwerk. Insoweit wurde die Uhrenindustrie rasch zu einem wichtigen Teil der Rüstungsindustrie des Deutschen Kaiserreichs. 5 Zu Beginn des 1. Weltkrieges zählte die Uhrenfabrik Kienzle in Schwenningen 1800 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. 600 Beschäftigte mussten einrücken.
Umstellung auf Zünder
Nach der Mobilmachung war es schwierig den Betrieb weiterzuführen, weil einmal die Arbeitskräfte, außerdem die Aufträge fehlten. „Das Ausland war ganz abgesperrt und das Inland zahlte nicht.“6
Jakob Kienzle versuchte im neutralen Ausland Geld aufzutreiben, was sich als schwierig erwies. „Man glaubte damals allgemein, der Krieg sei an Weihnachten zu Ende, und solange hoffte ich durchzuhalten. 7 „Ich sagte mir: ‚Uhren braucht man keine; wenn du nur während des Krieges deinen Leuten Beschäftigung geben kannst.‘
Auf einer Reise, bei der er Bankkredite suchte, kam Jakob Kienzle von Amsterdam durch das Rheinland. In Düsseldorf besuchte er aufs „Geradewohl“ das Unternehmen Rheinische Metallwarenfabrik8 und in der Hoffnung dort eventuell Aufträge zu bekommen. Direktor Erhardt9 , hatte nichts für ihn, empfahl aber bei Krupp vorzusprechen. Auch bei Krupp sah man zuerst keine Möglichkeiten für den Unternehmer aus dem Schwarzwald. Man erkundigte sich aber, „ob [er] Zünderteile machen könne.“10 Eine Frage, die Jakob Kienzle bejahte, obwohl er keine entsprechenden Erfahrungen hatte, aber überzeugt war, dass ein Feinmechaniker und Uhrmacher grundsätzlich alles könne. Auf die Nachfrage wieviel automatische Fräsmaschinen Kienzle habe, gab Jakob Kienzle zur Antwort „Zirka 150“, was dann sein gegenüber doch sehr erstaunte. Er stellte Kienzle einen Auftrag für österreichische Zünder in Aussicht.
Neue Kunden: Krupp und Preußische Artillerie-Werkstätte
Von Krupp wurde Jakob Kienzle nach Siegburg geschickt. in die königlich Preußische Artillerie Werkstätte. Auch hier erhielt Kienzle wie schon vorher bei Krupp, einen bescheidenen Probeauftrag für Zünderteile.
Wieder zu Hause, ließ er seine Mitarbeiter Tag und Nacht arbeiten, um die beiden Probeaufräge so schnelle wie möglich zu erledigen. Bereits nach acht Tagen lieferte er an Krupp und in die Artilleriewerkstätte Siegburg. Dadurch erhielt Kienzle Aufträge für weitere 20 000 Stück von Krupp und 50 000 Stück in Siegburg. Weitere Aufträge sollten folgen für „Zünderkörper, Fliehbolzen, Zündnadeln, Zündladungskapseln, Schlagbolzen usw.“11 Bereits im November 1914 arbeitete das Unternehmen Kienzle-Uhren Tag und Nacht mit der gesamten Belegschaft für die Rüstungsindustrie.
Mangel an Arbeitskräften
Ein Problem war die Beschaffung von Arbeitskräften, da die leistungsfähigen Männer eingezogen wurden. Lebten 1910 in Schwenningen 8014 männliche Personen und 7396 weibliche, so waren es 1917 8634 weibliche Ortsanwesende und 6494 männliche. Mehr als 2000 Schwenninger befanden sich „im Feld“.
Die Firma Kienzle-Uhren in Schwenningen beschäftigte 1913 vor dem Weltkrieg 1460 Personen, 1914 nur noch 660. 1917 war mit 1150 Mitarbeitern der Kriegshöchststand erreicht, 1918 waren es 1060.
Beschäftigte der Firma Kienzle Uhren 1913 bis 1919
Jahr | Belegschaft in Schwenningen | Belegschaft mit Filialen |
---|---|---|
1913 | 1460 | 1810 |
1914 | 660 | 810 |
1915 | 630 | 810 |
1916 | 980 | 1250 |
1917 | 1150 | 1510 |
1918 | 1060 | 1530 |
1919 | 1250 | 1760 |
Genügend Arbeitskräfte zu bekommen war ein großes Problem. Die Ehefrauen der Soldaten, ersetzten soweit das möglich war die Männer in der Fabrik. Anstelle von Uhren wurden nun Zünder hergestellt, überwiegend von zarten Frauenhänden. Jakob Kienzle selbst kümmerte sich um die Aufträge und sorgte dafür, dass die Qualität seiner Produkte besser als die der Konkurrenz war.
Frauen und Jugendliche
Jugendliche wurden zum Dienst in der Rüstungsindustrie herangezogen. Sie mussten nach Zeitzeugenberichten 72 bis 75 Stunden in der Woche arbeiten von denen 60 Stunden bezahlt wurden. Die Jugendlichen übernahmen auch Nachtschichten. Gleichzeitig fehlte es am Notwendigsten wie warmer Kleidung und ausreichende Nahrung. Wenn sie alt genug waren wurden die männlichen Jugendlichen in den Krieg geschickt.
Obwohl die Arbeit wegen des Umgangs mit Sprengstoff gefährlich war, hatte das Unternehmen Glück. Nach den Angaben Jakob Kienzles geschah während des Krieges im Betrieb kein Unfall. Es wurden K.S.14 Zünder vollständig geliefert, „fix und fertig, mit Sprengstoff geladen. Das verursachte viel Neueinrichtung und Arbeit. Allein ich hatte tüchtige Leute.“12
Hohe Gefahrenlage
Die Kriegsarbeitsstelle des württembergischen Kriegsministeriums bewertete die Gefahrenlage am 26.2.1917 allerdings kritischer:
„ Im Untergeschoß der innerhalb der Stadt gelegenen Fabrik lagerten etwa 15000 fertig laborierte Zünder. Der Raum ist gleichzeitig Packraum. Weitere versandt bereitete Zünder (etwa 1000 Stück) lagern unmittelbar gegenüber dem Bahnhof, in der von der Fabrik angekauften und als Lagerraum benützten Bahnhofswirtschaft…. Die Unterbringung der versandbereiteten Zünder gegenüber des Bahnhofs erscheint bedenklich. Schwarzpulver und Pikrinsäure hat die Firma nur in ganz geringen Mengen in einem Holzschuppen im Fabrikhofe untergebracht.“ 13
Bei Tag- und Nachtarbeit produzierte Kienzle-Uhren pro Tag 10-12 000 Zünder. 14
Angeblich gab es nie Anstände, das Unternehmen lieferte Präzisionsarbeit ohne Unfälle und ohne Explosionen. Jakob Kienzles für uns heute unverständlicher Kommentar dazu „Gott der Herr war sichtbar mit uns bei der Arbeit“. 15
- Neher, S. [↩]
- Johannes Graf, Uhrenindustrie im 20. Jahrhundert. [↩]
- ebd. [↩]
- Johannes Graf, Uhrenindustrie im 20. Jahrhundert. [↩]
- Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg Die Schweiz, der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg Schlussbericht der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg Pendo Verlag GmbH, Zürich 2002 ISBN 3-85842-601-6. S. 22. „Vielmehr muss man sie (die Rüstungsindustrie) sich als ein hochdifferenziertes Feld vorstellen, in dem die Entwicklung, Produktion und Montage verschiedener spezieller Güter organisiert war und Erzeugnisse der Metall-, Maschinen- und Uhrenindustrie sowie optische oder auch chemische Produkte umfasst. Dazu kommen umfangreiche Materialtests im In- und Ausland und ein effizientes Marketing.“ Mechanische Zeitzünder arbeiten meist mit einem Feder-Mechanismus, vergleichbar einer Taschenuhr. Zu einem vorbestimmten Zeitpunkt ab dem Start des Mechanismus wird die Zündung des Sprengsatzes ausgelöst. Da Mechanik Geräusche verursacht, kann man sie oft an einem typischen Ticken erkennen. Der Zeitpunkt der Zündung ist annähernd, aber nicht exakt bestimmbar, da mechanische Bauteile materialbedingte Schwankungen (Toleranzen) aufweisen. Die Erste mit einem mechanischen Zeitzünder bestückte Bombe wurde versehentlich beim Verladen auf das Auswandererschiff Mosel 1875 in Bremerhaven gezündet. Auch für die deutsche Splitterbombe SD 2 aus dem Zweiten Weltkrieg existierten mechanische Zeitzünder. [↩]
- Jakob Kienzle. Mein Leben und mein Werk. S. 96 [↩]
- Ebd. S. 97 [↩]
- heute Rheinmetall [↩]
- Heinrich Erhardt, 1840 bis 1928, bedeutender Rüstungsunternehmer [↩]
- Ebd. S. 99 [↩]
- Ebd. S. 103 [↩]
- Jakob Kienzle, S. [↩]
- HStA Stuttgart M 1/9 (Übersicht des Königlich Württembergischen Kriegsministeriums vom Oktober 1917, Überwachungsausschuß für Sprengstoff und Munitionsfabriken). [↩]
- Jakob Kienzle, S. 104,vgl. auch Johannes Graf, Uhrenindustrie im 20. Jahrhundert. „Die Uhrenfabriken Gebrüder Junghans in Schramberg und Gebrüder Thiel im thüringischen Ruhla bauten mit großem wirtschaftlichem Erfolg Artilleriezünder. Bei Junghans verließen gegen Ende des Krieges täglich etwa 30 000 Zünder das Fabrikgelände, bei Thiel bis zu 5000 [↩]
- Jakob Kienzle, S. [↩]