Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Steigende Kosten – fallende Preise

geschrieben am: 14.04.2017 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Kienzle Apparate
Kienzle Bankenterminal für die PTT_

Kienzle Bankenterminal für die PTT (Schweizer Post), 70er Jahre (privat)

Im Computerbereich gibt es „eine rasante Talfahrt der Preise“

1978 wurde Dr. Ing. Gert Bindels in die Geschäftsführung bei Kienzle-Apparate aufgenommen. ((Gert Bindels (Jahrgang 1935) arbeitete vorher bei Honeywell-Bull, einem europäisch-amerikanischen Großrechnerhersteller. Als wichtiges Ziel im B-sektor sah Bindels „Die Erzielung eines wesentlich größeren Umsatzes mit dem gleichen Fixkostenblock“, was er mit einer effizienteren Organisation erreichen wollte.))

Zur Feier des 50jährigen Bestehens der Kienzle-Apparate GmbH am 24. Oktober 1978  legte der neue Geschäftsführer Dr. Bindels  in einer Betriebsversammlung seine Gedanken zur Markt- und Produktstrategie im Computerbereich dar.  Im Computerbereich gebe es „eine rasante Talfahrt der Preise“ und einen sich immer stärker „beschleunigenden Innovationsrhythmus.“  Auf die kürzeren Produktzyklen könne man nur mit einem höheren Entwicklungsaufwand reagieren. Das bedeute aber steigende Kosten und fallende Preise, was die Gewinne schrumpfen lasse. Der Ausweg könne nur sein, mit den vorhandenen Mitteln noch wirtschaftlicher und rationeller umzugehen. ((Kienzle-Blätter 4/78, Marketing als zentrale Aufgabe einer aktiven Unternehmensstrategie.S. 11))

„Wir verfügen über ein Know-how, das sich sehen lassen kann.“ Kienzle sei Marktführer auf dem Gebiet des Bankenterminals. Bindels war überzeugt, dass Kienzle genug Potential habe, die „technologischen Strukturveränderungen tatkräftig umzusetzen.“ ((A.a.O. S. 12, vgl. auch  Computerwoche v. 27.10.78, Diebold-Studie ermittelt Marktanteil von 36 Prozent. Kienzle unbestrittener Marktführer bei Bankenterminals.))

Die Halbleitertechnik würde bei Kienzle vordringen, radikales Umdenken und eine „hohe Anpassungsfähigkeit“ erfordern. Die Beherrschung dieser Technologie sei einfacher als der Bau mechanischer Steuerungselemente, weshalb es häufig kleineren Produzenten gelinge, in angestammte Märkte einzudringen. Da diese Unternehmen sehr viel niedrigere  Gemeinkosten hätten, könnten sie auch mit niedrigeren Preisen kalkulieren. „Die Herstellung technischer Produkte, von denen wir leben, ist risikoreicher geworden.“ Kienzle müsse die Trends rechtzeitig erkennen, müsse seinen umfassenden Service herausstellen, um im Wettbewerb bestehen zu können. (( Kienzle-Blätter 4/ 78. S. 19))

Der Trend gehe zum Systemdenken. Kienzle könne sich keine Entwicklungs-Flops mehr leisten. (( A.a.O. S. 20))

Im Geschäftsjahr 78/79 war der Umschwung von der Mechanik zur Elektronik fast vollzogen. Der Anteil der elektronischen Hardware am Umsatz machte 92,6 Prozent aus, der Anteil  des mechanischen Programms betrug nur noch 7,4 Prozent.

Die Gemeinkosten seien zu hoch, so Jochen Kienzle.  Das bedeute weitere  Reduzierung des Personals. Eine Garantie für die Erhaltung aller Arbeitsplätze könne er nicht mehr geben. ((Beilage zu den Kienzle-Blättern 1/79 ))

In der Betriebsversammlung vom 6. und 7. März 1979  erklärte Norbert Tonhausen: Als Folge der Gemeinkosten-Wertanalyse werde es ab dem 1.4.1979 „viele Umsetzungen, Neuzuschneidung von Stellen, Umgewöhnungen, Umschulungen geben. Keiner soll sich täuschen, jeder wird irgendwie betroffen sein. Es gibt auch keine Garantie, daß  nicht doch die eine oder andere Kündigung unumgänglich wird. Wir werden aber alles in unserer Macht stehende tun, daß es so schmerzlos wie irgend möglich geht.“ Tonhausen betonte „die Erfahrung, die wir miteinander in vielen Jahren guter Zusammenarbeit gemacht haben, lassen mich hinzufügen, wir vertrauen auch auf den guten Willen der Geschäftsführung und nicht zuletzt der Eigentümer, daß wir diese große Aufgabe, an deren Notwendigkeit kein Zweifel erlaubt ist, auf bewährte menschliche Art zu einem guten Ende führen.“   Innerbetriebliche Versetzungen allerdings würden immer schwieriger, weil es wegen des enormen technischen Wandels immer weniger passende Arbeitsplätze gerade für ältere Kollegen gebe. Die Mitarbeiter müssten sich daran gewöhnen, sich ständig weiterzubilden, um solche Härten zu vermeiden. (( A.a.O. Bericht des Betriebsrates.))

„Es wird zwar kein Blut fließen, doch weiterhin einen Haufen Unruhe geben.“

Insgesamt sollten 300 Angestellte von Versetzungen betroffen sein. (( StAVS Ordner: IGM-Verwaltungsstelle Kienzle-Apparate,  BZ v. 26.9.1979, Angst vor Entlassungen weg – Unruhe bleibt.))

Betriebsratsvorsitzender Tonhausen kommentierte  diese Maßnahme: „Es wird zwar kein Blut fließen, doch weiterhin einen Haufen Unruhe geben.“ (( A.a.O.))

Zur Situation des Unternehmens Anfang 1979 äußerte sich der Entwicklungsleiter des Apparate-Bereiches vor den Auszubildenden. Der aktuelle Trend bei Kienzle sei: stärkere Elektronifizierung, weg vom Einzelgerät hin zum System. Nahezu alle Funktionen der Mechanik könnten heute durch elektronische Funktionen ersetzt werden. Die „zunehmende Halbleiter-Integration bei gleichzeitigem Preisverfall“ mache die Umstellung auf Elektronik auch wirtschaftlich sinnvoll. Leider sei es auch für „sog. Waschküchenunternehmer“ möglich, mit Hilfe von gekauften Elektronikkomponenten und selbstentwickelter Software Geräte zu konzipieren, „welche die Bedürfnisse der Kunden“ befriedigten. Diese Kleinstunternehmer würden sich auf ein Projekt konzentrieren, hätten schnellere Entscheidungswege und könnten sich auf lokale Lösungen beschränken. Dadurch könnten sie wegen ihrer geringen Fixkosten trotz „höherer proportionaler Kosten“ zu niedrigeren Preisen produzieren. ((Kienzle-Blätter 1/ 1979 S. 1 / 2 gesicherte Zukunft?))

Der Entwicklungsleiter stellte die Frage: Passt uns dieser Trend? Wünschenswert sei für das Unternehmen sicher „eine Stagnation des heutigen Verhältnisses zwischen Elektronik und Feinmechanik.“  Leider nehme der technische Wandel darauf keine Rücksicht. Es müsse gelingen die eigenen Stärken auf dem Markt einzusetzen. Man müsse Produktbereiche ausbauen „in denen der Ersatz der Mechanik durch Elektronik unwahrscheinlich“ ist. (( A.a.O. S. 2))

In der Ausbildung bei Kienzle beschloss man den auszubildenden  Feinmechanikern im letzten Halbjahr elektronisches Wissen zu vermitteln. Solche Mitarbeiter könnten den Strukturwandel schneller und unkomplizierter bewältigen. ((A.a.O. S. 35 Dieter Knaupp, Zusatzausbildung für Feinmechaniker.))

Die Tariferhöhungen und die Zunahme von Arbeitszeitverkürzungen, sei es über eine Verlängerung des Urlaubs oder über eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit, beides von der Gewerkschaften wegen der positiven Auswirkungen auf die Arbeitsplatzsituation gewünscht, erhöhte die Personalkosten weiter, was auch in der Fa. Kienzle Überlegungen auslöste, die freiwilligen Sozialleistungen des Unternehmens auf das wirklich Wichtige zu reduzieren. (( Kienzle-Blätter 1/ 1980 S. 26))

Ausschlaggebend für die Situation des Unternehmens wurde die Situation auf dem Computermarkt. ((Kienzle-Blätter 4/ 1980 S. 5 f Trends im Computermarkt.))

Die Neigung zur Automatisierung der Büros sei nach wie vor ungebrochen. „Vieles spricht dafür, daß in diesem Jahrzehnt der Übergang von der industriellen Arbeitswelt zur Distributions-, Service- und Informationsgesellschaft vollzogen wird“. Eine Nachfrage nach EDV-Produkten werde es noch lange Zeit geben, leider stehe dem auch ständig wechselnde Wettbewerbsverhältnisse gegenüber. Für die Zukunft müsse man mit einer Marktsättigung rechnen, weshalb das „Kundenpotential“ verbreitert werden müsse. ((A.a.O. 4/ 1980 Trend im Computermarkt. S.8))

Den Mitarbeitern wurde nach wie vor Weiterbildung ans Herz gelegt im ureigenen Interesse. (( A.a.O. S. 23 Berufsausbildung und technischer Wandel.))

Diese  müssten erkennen, dass der technologische Wandel auch den eigenen Arbeitsplatz betreffen werde. „Wenn der einzelne diese Tatsache begreift, wird die persönliche Motivation zu Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen sehr viel größer sein, denn die evtl. zu erwartenden sozialen Auswirkungen und Faktoren sind für ihn mindestens so wichtig, wie technische oder qualifikatorische Gesichtspunkte.“

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