Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Kienzle Apparate – Chronik eines Niedergangs

geschrieben am: 05.01.2017 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Kienzle Apparate

Erinnerungen und Erforschung

Es ist in Villingen-Schwenningen auch heute noch unmöglich, wenn man einem bestimmten Altersjahrgang angehört, niemanden zu kennen, der einmal bei Kienzle-Apparate beschäftigt war.  Die Erfahrungen der Ehemaligen sind natürlich von der Persönlichkeit, den Lebensgeschichten und den Einstellungen der jeweiligen Person abhängig.

Ehemalige Uhrenfabrik Werner, Fabrikgebäude am Benediktinerring in Villingen.

Ehemalige Uhrenfabrik Werner, Fabrikgebäude am Benediktinerring in Villingen. (Bild StAVS)

Gerade in Unternehmen wirkt ganz besonders das unmittelbare Arbeitsumfeld auf die Qualität eines Arbeitsplatzes und damit auf die individuellen Erinnerungen ein. Gute Vorgesetzte und Mitarbeiter, persönliche Kommunikation, persönliche Wertschätzung sind maßgeblich für die persönlichen Erfahrungen und im Nachhinein auch darauf, wie einer seine Arbeit beurteilt. Mögliche Spannungen beeinflussten die Erfahrungen der Einzelnen erheblich und waren oft – jedenfalls sahen das meine Gesprächspartner häufig so – wichtiger als die Bezahlung. Aus der Perspektive der ehemaligen Beschäftigten ergeben sich deshalb ganz unterschiedliche Bewertungen der Fa. Kienzle Apparate. Die persönlichen Erinnerungen  können nur einzelne Schlaglichter auf das Unternehmen werfen, die oft ein sehr subjektives Bild der Wirklichkeit wiedergeben. Aber vielleicht dient dieser Ansatz den Lesern dazu, die eigene Sichtweise auf das ehemals größte Unternehmen der Stadt Villingen-Schwenningen zu erweitern.

Die Geschichte der Kienzle Apparate GmbH in Villingen ist mittlerweile  durch das Buch von Armin Müller relativ gut erforscht.  Auch im Geschichts- und Heimatverein erschien bereits 1995 von Herbert Ackermann eine Geschichte des Unternehmens. Schwerpunkt dieser Arbeiten liegt auf den innovativen Produkten, den Ingenieuren und Managern. Im vorliegenden Aufsatz sollen die  Auswirkungen der Unternehmensgeschichte auf die Arbeitnehmer und auf die Stadt Villingen-Schwenningen gezeigt werden. ((Von Armin Müller gibt es zwei relativ neue Beiträge, die die technische und betriebswirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens genau nachzeichnen.  Armin Müller, Kienzle. Ein deutsches Industrieunternehmen im 20. Jahrhundert. Stuttgart 2011. Ebenso: Armin Müller, Mittlere Datentechnik – Made in Germany. Der Niedergang der Kienzle Apparate GmbH Villingen als großer deutscher Computerhersteller. In: Morten Reitmayer/Ruth Rosenberger (Hg.), Unternehmen am Ende des „goldenen Zeitalters“. Die 1970er Jahre in unternehmens- und wirtschaftshistorischer Perspektive, Essen: Klartext 2008, S. 91-110. Herbert Ackermann, Von Taxametern, Fahrtenschreibern und Computern. Die Geschichte der Kienzle Apparate GmbH. Jahresheft des GHV 1995))

Vorgeschichte

Von dem ehemaligen Unternehmen Kienzle Apparate ist heute in Villingen nicht mehr viel zu spüren, obwohl seine Nachfolgefirma im Bereich Automotive, die Fa. Continental, immer noch der größte Arbeitgeber in Villingen-Schwenningen ist. (( Leider weist auch die Homepage der Firma Continental nicht auf die Ursprünge des Unternehmens in Villingen hin. Weshalb im heutigen Alltag fast nichts mehr auf dieses ehemals größte Villinger Unternehmen hinweist.))

Kienzle Apparate war lange das Vorzeigeunternehmen der Region, zählte neben Nixdorf zu den bedeutendsten deutschen Computerentwicklern in den 60er und 70er Jahren. Das Unternehmen zeichnete sich über viele Jahrzehnte durch seine Innovationskraft, aber auch durch eine ganz besondere Beziehung zu seinen Beschäftigten aus.

Kienzle Apparate war nach dem 2. Weltkrieg das größte Villinger Unternehmen. Mit 1970 ca. 4000 Arbeitsplätzen bestimmte das Unternehmen mit seiner Arbeitswelt, seinen Erfahrungen, seiner Kultur, seinen Mitarbeitern einen großen Teil der Arbeitswelt und der Arbeitserfahrungen des Stadt Villingen.

Oft waren mehrere Mitglieder einer Familie in dem  Unternehmen beschäftigt, Ehepaare lernten sich dort kennen,  Vereine der Stadt wurden durch Beschäftigte des Unternehmens dominiert, im Gemeinderat saßen in der Regel mehrere Vertreter des Unternehmens.

Entstanden war Kienzle Apparate aus der Schwenninger Uhrenfabrik Kienzle. Der Fabrikant  Jakob Kienzle kaufte 1912 die in Konkurs gegangene Villinger Uhrenfabrik Werner auf und übernahm dadurch auch die Entwicklungen, die innerhalb der Wernerschen Uhrenfabrik im Zusammenhang mit dem Taxameterbau und der Konstruktion einer Rechenmaschine entstanden waren.

1928 wurde das Unternehmen Kienzle Apparate selbständig, Geschäftsführer wurde der Sohn von Jakob Kienzle, Dr. Herbert Kienzle. Das Unternehmen zählte zu dieser Zeit gerade 40 Mitarbeiter. ((StAVS Spruchkammerakten Aussage Dr. Herbert Kienzle.))

Dr. Herbert Kienzle, Sohn des Schwenninger Uhrenfabrikanten Jakob Kienzle (Bild: StAVS)

Dr. Herbert Kienzle, Sohn des Schwenninger Uhrenfabrikanten Jakob Kienzle (Bild: StAVS)

In der Zeit des Nationalsozialismus gelang es durch Ausnutzung der neuen Wirtschaftspolitik, die neuen Machthaber davon zu überzeugen, dass mit den Kienzle-Fahrtenschreibern ein rohstoffsparendes Fahren mit den Kraftfahrzeugen möglich war, wodurch der Gummiabrieb bei Autorädern reduziert und der Kraftstoffverbrauch verringert werden konnte.  Frühzeitig gelang es, Rüstungsaufträge zu bekommen. Das Unternehmen expandierte dadurch enorm von ca. 300 Beschäftigten vor dem  2. Weltkrieg auf 1450 Beschäftigte incl. Fremdarbeiter bei Kriegsende.  Die Expansion bedeutete auch, dass Kienzle seinen Gebäudebestand  in der Kriegszeit stark erweitern musste.

Gerade in den Zeiten der Kriegswirtschaft war es wichtig, die Mitarbeiter bei Laune zu halten, weshalb Kienzle großen Wert auf den Aufbau einer funktionierenden Betriebsgemeinschaft legte. (( Vgl. Annemarie Conradt-Mach, Arbeit für den Krieg. Beilage zur Südwestpresse/ Neckarquelle v. 2.9.1989, S. 4/5))

Von größeren Kriegsschäden blieb Kienzle verschont, allerdings musste man Verluste durch die Demontage hinnehmen, es gelang jedoch dem Unternehmen, ab 1949 an seine früheren Erfolge anzuknüpfen.  1951 hatte man bereits wieder 1215 Beschäftigte.

 

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