Uhrenindustrie im internationalen Wettbewerb
Strategische Überlegungen der Mackintosh-Studie
In den 70er Jahren verlor die deutsche Uhrenindustrie ihre gute Stellung auf dem Weltmarkt. Seit 1972 stagnierte die Produktion von Kleinuhren. ((Mackintosh-Studie, Teil C, Die Deutsche Uhrenindustrie im internat5ionalen Vergleich. 1977, S. 8))
1973 schien auch der Höhepunkt der Produktion von deutschen Großuhren erreicht. ((a.a.O. S. 9 „Das Produktionsvolumen von Großuhren erreichte 1973 mit 33,5 Millionen Stück seinen bisherigen Höhepunkt. Nach einem schwächeren Rückgang im Jahre 1974 erfolgte 1975 ein erheblicher Einbruch des Volumens auf 20,7 Millionen Stück. Die Produktion konnte sich 1976 erst auf 24,4 Millionen Stück erholen….“)) „Der Anteil der Bundesrepublik an der Weltproduktion von Großuhren sank von 23,5 % im Jahre 1971 auf 12,5 % im Jahre 1976.“ (( A.a.O. „Der Verfall der Produktion um rund 10 Millionen Stück 1975 ist zum größten Teil dem Rückgang der Herstellung mechanischer Wecker um 7 Millionen Stück zu verdanken. Aber auch alle anderen Produktgruppen außer Quarzweckern zeigten Einbußen.“ S. 10 „1976 erreichte die Produktion von Großuhren mit elektronischen Werken rund 7 Millionen Stück. Darin waren knapp 5 Millionen Armaturbrettuhren erhalten. Insgesamt hat die elektronische Großuhr sich 1976 einen Anteil von 28,5 % an der Großuhrenherstellung erobert…. In der Zukunft ist kaum mit einem Ansteigen der Produktion mechanischer Wecker zu rechnen … Dafür werden elektronische – insbesondere analoge- Wecker weiter an Bedeutung gewinnen… Auch bei den anderen Großuhren …wird der Substitutionsprozess von mechanischen und elektrischen zum Quarzwerk weitergehen.“))
Die Konkurse und Entlassungswellen der Jahre 1974/ 75 betrafen vor allem die Großuhrenindustrie und damit die Städte Villingen-Schwenningen und Schramberg mit den beiden Unternehmen Junghans und Kienzle-Uhren.
Betriebsgrößen der Uhrenindustrie sinken
Durch den massiven Abbau an Beschäftigten in diesen Jahren nahm die durchschnittliche Betriebsgröße der deutschen Uhrenindustrie ab. „Die Zahl der Unternehmen mit zehn oder mehr Beschäftigten schrumpfte von 1970 bis 1975 von 213 auf 180 Unternehmen“. ((Mackintosh-Studie, Teil C. S. 12))
„Der Schrumpfungsprozess in den genannten Jahren betraf praktisch alle Unternehmensgrößenklassen. Durch die Abnahme der Beschäftigten insgesamt rutsch[t]en viele Unternehmen in die nächstniedrige Beschäftigungsklasse.“ (( A.a.O.)) „Während die Anzahl der Beschäftigten in den Unternehmen bis zu 499 Beschäftigten in der Hauptsache durch Herabstufung von Unternehmen im Zeitraum 1970 bis 1975 annähernd konstant blieb, sank die Anzahl der Beschäftigten in den Betrieben mit 500 und mehr Beschäftigten von 16930 auf 7621. Dies [war] hauptsächlich Rationalisierungsmaßnahmen (bis 1974) und dem starken Rückgang der Großuhrenproduktion im Jahre 1975 zu verdanken…(Konkurs einiger Betriebe)“ ((A.a.O. S. 13))
Unternehmen der deutschen Uhrenindustrie nach Beschäftigungsgrößenklassen 1970 bis 1975
Beschäftigungs-größenklasse | 1970 | 1971 | 1972 | 1973 | 1974 | 1975 |
---|---|---|---|---|---|---|
1000 und mehr | 4 | 4 | 4 | 4 | 4 | 2 |
500 bis 999 | 9 | 6 | 10 | 8 | 6 | 3 |
200 bis 499 | 18 | 18 | 16 | 20 | 20 | 22 |
100 bis 199 | 25 | 22 | 24 | 22 | 22 | 22 |
50 bis 99 | 29 | 34 | 29 | 33 | 33 | 31 |
20 bis 49 | 74 | 63 | 71 | 67 | 62 | 56 |
10 bis 19 | 54 | 49 | 39 | 43 | 38 | 44 |
Gesamt | 213 | 196 | 193 | 197 | 185 | 180 |
Beschäftigte in der deutschen Uhrenindustrie nach Beschäftigungsgrößenklassen 1970 bis 1975
Beschäftigungs- größenklasse | 1970 | 1971 | 1972 | 1973 | 1974 | 1975 |
---|---|---|---|---|---|---|
1000 und mehr/ 500 und mehr | 10250 | 13250 | 14310 | 13310 | 11500 | 5600 |
500 bis 999 | 6680 | 2030 | ||||
200 bis 499 | 5740 | 5870 | 5010 | 6490 | 6590 | 6990 |
100 bis 199 | 3540 | 2940 | 3330 | 2930 | 2970 | 2980 |
50 bis 99 | 2080 | 2280 | 2190 | 2340 | 2340 | 2130 |
20 bis 49 | 2410 | 2030 | 2390 | 2150 | 2050 | 1860 |
10 bis 19 | 740 | 710 | 720 | 610 | 540 | 500 |
Gesamt | 31430 | 27080 | 27960 | 27830 | 26000 | 22080 |
Das größte deutsche Unternehmen war immer noch die Fa. Junghans. 1976 hatte Junghans einen Umsatz von 200 Millionen DM und produzierte Groß- und Kleinuhren. Der Exportanteil lag 1977 nach einem Einbruch 1975 bei über 40 Prozent der Produktion, die Beschäftigten allerdings waren auf unter 2000 Mitarbeiter zurückgefallen. (( A.a.O. S. 16))
Das zweitgrößte deutsche Unternehmen, die Firma Kienzle-Uhren, hatte seinen Personalbestand von 2600 Beschäftigten im Jahr 1973 auf unter 1200 Beschäftigte im Jahr 1977 reduziert. Kienzle stellte 5 Millionen Uhren aller Art (Kleinuhren, Großuhren und technische Uhren) her, Der Umsatz lag 1976 bei knapp 80 Millionen DM. Etwa 50 Prozent der Uhren wurden exportiert. Auf Platz 3 lag die Uhrenfabrik Senden. Mit 700 Beschäftigten wurden hier 6 Millionen Großuhren, überwiegend Reisewecker, produziert.
Japanische Exporte überschwemmten den Weltmarkt
Zum bedeutendsten Konkurrenten der deutschen Uhrenindustrie auf dem Weltmarkt war die japanische Uhrenindustrie geworden. Bis zum Ende der 50er Jahre wurden die japanischen Uhren überwiegend auf dem japanischen Markt verkauft. Seit den sechziger Jahren nahmen die japanischen Exporte aber stark zu. 1976 überschwemmten 34 Millionen japanische Uhren den Weltmarkt. Im Gegensatz zur deutschen Uhrenindustrie war die japanische Uhrenindustrie hochmodern, 21 Prozent der japanischen Kleinuhren waren 1976 schon Quarzuhren. (( A.a.O. S. 59))
Die japanische Uhrenindustrie war im Gegensatz zur deutschen Uhrenindustrie, die eher kleinbetrieblich strukturiert war, von wenigen großen Firmen beherrscht. Nur drei Unternehmen, Seiko, Citizen und Orient, produzierten 1976 94 Prozent aller japanischen Kleinuhren. (( A.a.O. S. 67)) Die japanischen Großunternehmen stellten nahezu alle Uhrenteile selbst her. Es gab praktisch keine Zulieferindustrie wie in der Bundesrepublik. Die Unternehmen Seiko und Citizen begannen frühzeitig, im Gegensatz zur deutschen Uhrenindustrie, mit der Eigenentwicklung und Produktion von elektronischen Bauelementen und konnten sich so einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber der internationalen Konkurrenz verschaffen. (( A.a.O. S. 67))
Die japanischen Firmen diversifizierten in erheblichem Ausmaß. „Seiko machte 1976 etwa 10 % seines Umsatzes mit Werkzeugmaschinen und wissenschaftlichen Geräten“. Citizen begann 1942 mit der Produktion von Werkzeugmaschinen und produzierte 1976 außerdem Registrierkassen, Büromaschinen, Messgeräte und Juwelen. Auf den Kleinuhrenbereich entfielen bei Citizen 1976 nur etwa 10 % des Umsatzes, 50 % machten Kameras, Möbel, Bürogeräte und andere Produkte aus.
Die Firma Seiko beschäftigte 1976 17550 Mitarbeiter und stellte (( A.a.O. S. 72. A. a. O. S. 75 Citizen hatte 1976 3 477 Beschäftigte)) 7,1 % der Weltproduktion an Kleinuhren her. Die Montage der Seiko-Uhren wurde bereits damals teilweise ins preisgünstigere Hongkong und Singapur verlegt. Die Lohnkosten machten bei den Kleinuhren nur 20 % aus. 1975 stellte Seiko 1,5 Millionen Quarzuhren her. 1976 waren es bereits 4 Millionen. (( A.a.O. S. 71))
Für Forschung und Entwicklung wandte Seiko 5 % seines weltweiten Umsatzes auf. In diesem Bereich wurden 480 Personen beschäftigt. (( A.a.O. S. 73)) „Das Personal [wurde] im Zuge der Umstellung auf Quarzuhren umgeschult. In der Forschung und Entwicklung w[u]rden vermehrt Chemiker, Physiker und Elektroingenieure beschäftigt…. Seiko [betrieb] eine sehr ausgefeilte Produktionspolitik mit kompromissloser Gewinnmaximierung. Das Marketing basiert[e] auf detaillierter Planung … Mit einem erheblichen Aufwand an Werbung konnte Hattori den Markennamen Seiko auch im Ausland einen hohen Bekanntheitsgrad und hohes Ansehen verschaffen. Dazu trug die gute Qualität und das für den Export teilweise nach Ländern individuelle Styling wesentlich bei.“ (( A.a.O.))
Citizen und Seiko stellten neben den Kleinuhren auch Großuhren her und machten dadurch der deutschen Großuhrenindustrie ihren ersten Rang auf dem Weltmarkt streitig. „Der Neuling in der Uhrenbranche, Casio, [war] ein Computerhersteller, der Ende 1974 seine ersten digitalen Armbanduhren vorstellte und 1975 schon 9 % seines Umsatzes mit Uhren machte.“ (( A.a.O. S.68))
Fehlende Importrestriktionen
Die Schweizer Uhrenindustrie hatte wegen der hohen Bewertung des Schweizer Frankens große Probleme auf den Exportmärkten. Allerdings stellte sich die Situation der Personalkosten aufgrund der niedrigeren Lohnnebenkosten und der 44-Stundenwoche in der Schweiz günstiger dar als die Situation für die bundesdeutsche Uhrenindustrie. (( A.a.O. S. 149))
Die Billiganbieter aus dem Ausland machten den deutschen Unternehmen große Sorgen, da diese ihre Waren ohne Importbeschränkungen auf dem deutschen Markt anbieten konnten. (( A.a.O. S. 223 „Ernsthafte Sorge bereiten der deutschen Uhrenindustrie Billigimporte aus dem Ausland, die aufgrund fehlender Importrestriktionen problemlos auf den deutschen Markt gebracht werden können. Auch auf den Weltmärkten stellen diese Billiganbieter eine erhebliche Konkurrenz dar. ))
Zu den asiatischen Importen kamen noch die Importe aus den sog. „Staatshandelsländer“, die mit ihren „politischen Preisen“ auf den deutschen Markt drängten und „einer privatwirtschaftlichen Kalkulation in keiner Weise gerecht“ gerecht wurden. Diese Länder erzielten dadurch, die für sie so wichtigen Devisen, um damit im Westen „technologisch hochentwickelte Investitionsgüter“ einzukaufen, was wiederum für die westdeutsche Maschinenbauindustrie sehr günstig war. (( A.a.O.))
Verlagerung der Produktion ihn Billiglohnländer
In der beschriebenen Wettbewerbssituation schlugen die Autoren der Mackintosh-Studie eine Verlagerung der Uhrenindustrie in Billiglohnländer vor. (( A.a.O. S.252-254))
Vorteile eines solchen Vorgehens sei:
- „Verwertung des durch die Umstellung auf die elektronische Uhr weitgehend unverwendbar gewordenen Maschinenparks
- Ausweitung der Absatzmöglichkeiten (auch für in Deutschland hergestellte Produkte)
- Umgehung von „prohibitiven Importrestriktionen (Zölle etc.)
- Ausnutzung von Anreizen der Industrieansiedlung.“ (( A.a.O. S. 253))
Bei einer Auslandsverlagerung der Produktion müsste auf folgendes geachtet werden: (( A.a.O. S. 253))
- Der Auslandsmarkt sollte aufnahmefähig sein in Bezug auf die Bevölkerungsanzahl und die Kaufkraft,
- Er sollte über ausreichend stabile politische und soziale Verhältnisse,
- Eine gute Infrastruktur, was die Verfügbarkeit relativ guter Arbeitskräfte angeht und einen ausreichender Bildungsstand der Bevölkerung verfügen.
- Der neue Standort sollte möglichst Teil einer größeren Wirtschaftsgemeinschaft sein (z.B. Aseangruppe wegen des Zugangs zu Nachbarmärkten.)
- Eine Verlagerung der Produktion sei allerdings nur für finanzstarke Unternehmen sinnvoll. (( a.O.))
In Deutschland selbst Quarze herzustellen mache ebenso keinen Sinn mehr, weil die amerikanischen und japanischen Hersteller, die Märkte mit ihren Überkapazitäten überschwemmten. Deutsche Hersteller seien gegenüber diese Billigstprodukten sowieso nicht mehr konkurrenzfähig. (( A.a.O. S. 257))
Die Uhrenindustrie solle deshalb ihre Quarze auf dem internationalen Markt einkaufen. (( A.a.O. S. 258))
Außerdem müsse die Standardisierung von Batterien international betrieben werden. ((A.a.O. S. 260))
Keinesfalls sei die deutsche Uhrenindustrie in der Lage Bauelemente und Batterien „selbst zu entwickeln“. Es gebe bereits starke Anbieter, der Kapitalaufwand sei viel zu hoch und der Vorsprung der etablierten Firmen könne nicht aufgeholt werden. (( A.a.O. S. 261))
Die Autoren urteilten, „die große Stärke der deutschen Uhrenindustrie [werde] auch in der absehbaren Zukunft auf dem Gebiet der mechanischen Technik liegen. Als bedeutend könnte sich das Knowhow in der Entwicklung kostensparender Mechanismen in Metall – aber auch in Kunststofftechnologie erweisen.“ (( A.a.O. S. 262))
Aus diesem Grund seien sinnvolle Diversifikationsprodukte Produkte aus dem Bereich der Feinwerktechnik z.B. der Zünderbau oder der Werkzeugbau. ((A.a.O. S. 263))
Allerdings sei Diversifikation nur für kapitalstärkere Unternehmen eine Lösung. (( A.a.O. S. S. 270 Aus finanziellen Gründen ist Diversifikation für die meisten Unternehmen keine Zukunft.))
Massenproduktion ohne Zukunft
Die Uhrenindustrie müsse auf höherwertige Produkte umstellen, Massenproduktion habe in Deutschland keine Zukunft mehr. (( A.a.O. S. 271 Die Dt. Uhrenindustrie muss sich auf die höherwertigen Produkte/ Großuhren konzentrieren. ))
Die Sortimente müssten sich auf den Geschmack der Zielgruppen im Ausland einstellen, wenn man dort noch deutsche Uhren verkaufen wolle. (( A.a.O.S. 272 f Die Sortimente müssen sich auch auf den Geschmack der Zielgruppen im Ausland einstellen. ))
Die deutschen Hersteller müssten eine konsequente Markenpolitik umsetzen, derzeit gebe es mit Junghans und Kienzle nur zwei bekannte deutsche Marken. (( A.a.O. S.281))
„Mit Markenpolitik kann man sich von den Konkurrenten abheben, stabilere Verbraucherpräferenzen schaffen und sich vor allem vom anonymen Massenmarkt absetzen.“ Dadurch werde der Preis weniger wichtig. (( A.a.O. S. 273))
Dies könne aber nur mit einem entsprechenden „Marketingkonzept erreicht werden, welches Modernste Technik“, „Funktionalität“, „Genauigkeit und Zuverlässigkeit“, „gutes Aussehen“ und „einen schnellen, problemlosen Service“ in der Vordergrund stellt. (( A.a.O. S. 276))
Die Autoren der Mackintosh-Studie waren überzeugt: „Wenn die deutschen Uhrenhersteller also den weltweiten Herausforderungen des Wettbewerbs gewachsen sein wollen, müssen sie bereit sein, die historische gewachsenen Strukturen der deutschen Uhrenindustrie in Frage zu stellen und sie den neuen Anforderungen anzupassen.“ (( A.a.O. S. 285))
Die elektronische Uhr und Diversifikation löst die Probleme nicht
„Die Umstellung auf die elektronische Uhr löst allein die Probleme nicht. … Die deutsche Uhrenindustrie muss daher einmal alle Rationalisierungsmöglichkeiten ausschöpfen, um kostenmäßig nicht ins Abseits zu geraten. Zum anderen müssen ihre Produkte durch modernste Technik, Zuverlässigkeit und überlegene Gebrauchseigenschaften von den billigen Standardprodukten abheben. Diese Aufgabe stellt hohe Anforderungen an das Entwicklungspotential der deutschen Uhrenindustrie…. Der mit der Umstellung auf die Elektronik verbundene Rückgang der Fertigungstiefe könnte durch Diversifikation ausgeglichen werden. Angesicht der schwachen Position vieler Uhrenhersteller kann dies jedoch nicht als Ideallösung gelten“. ((a.a.O. S. 323/ 324))