Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Lohnkosten der deutschen Uhrenindustrie 1977

geschrieben am: 09.05.2016 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Allgemein, Marktuntersuchungen

In einer Sitzung der AG-Uhren am 26.3.1976 wurden die Ausschreibungen einer Studie über die „Technologie und Markttendenzen in der Uhrenindustrie“ und  einer sozialwissenschaftlichen Begleitstudie „Auswirkungen der Technologie-Entwicklung auf Arbeitsplätze und Unternehmen in der deutschen Uhrenindustrie“ beschlossen. Die Entscheidung fiel zu Gunsten der Fa.  Macintosh Consultants und der  Fa. Töpfer. (( F. Hamke, Die Foerderungsmassnahmen  des BMFT fuer die Uhrenindustrie. Ausgangslage, Foerderungsmassnahmen und Wirkungen. Untersuchung im Auftrage des VDI-Technologiezentrums, Berlin 1982 ,S. 60))

Beide Studien schufen eine Datenbasis „die als Diskussionsgrundlage für unternehmerische Entscheidungen dienen“ konnten. (( Die Studien umfassten zusammen etwa 3000 Seiten. A.a.O. Hamke, s. 67))

Die Studie lieferte Datenmaterial zur Höhe der Arbeitskosten, die für eine Exportindustrie, wie sie die Uhrenindustrie nun einmal ein bedeutender Faktor war.

Niedrige Löhne

Wichtiges Argument des VDU waren immer die hohen deutschen Lohnkosten, die international nicht wettbewerbsfähig seien. Im Vergleich zu den deutschen Industrielöhnen waren die Löhne in der Uhrenindustrie aber traditionell niedrig. Die Uhrenindustrie beschäftigte  überwiegend angelernte Kräfte, das waren mehr als 60 Prozent der Mitarbeiter. Nur 30 Prozent des Personals waren Facharbeiter.

Struktur der Arbeiter in der Uhrenindustrie nach Qualifikation und Entlohnungsform in Prozent

ZeitlohnStücklohnzusammen
ungelernt (LG 1 u.2)268
angelernt (LG 3 bis 6)214162
Facharbeiter (LG 7 bis 10)24630
zusammen5753100
aus: Mackintosh Consultants, Technologie- und Markttendenzen in der Uhrenindustrie. Teil A. Projekt NT 0624, November 1977, S. 408

In der Uhrenindustrie arbeiteten viele Frauen „was sich aus der vergleichsweise geringeren körperlichen Beanspruchung durch die feinmechanischen und mittlerweile zum Teil elektronischen Fertigungsprozesse“ ergab.

Montage in der Uhrenfabrik Kienzle 1970

Montage in der Uhrenfabrik Kienzle 1970/ Stadtarchiv Villingen-Schwenningen

Frauen waren in der Regel  angelernte Kräfte und erhielten deshalb weniger Lohn. Sie wurden in der Uhrenindustrie vor allem  im Stücklohn beschäftigte, das galt 1977 insgesamt noch für 54 Prozent der Mitarbeiter. ((Macintosh-Studie, Teil A. S. 407))  Der Stücklohn wurde in der unmittelbaren Produktion, in der Vor- und Werkmontage gezahlt. Hier wurde „ im Einzel- bzw. im Gruppenakkord an den Montagebändern gearbeitet“. ((a.a.O.))  Die Stundenverdienste im Zeitlohn lagen etwa 15 Prozent unter  den Stücklöhnen. ((a.a.O. S. 410))

Struktur der Arbeiter in der Uhrenindustrie nach Geschlecht und Entlohnungsform in Prozent 1977

männlichweiblichzusammen
Zeitlohn321547
Stücklohn143953
zusammen4654100
Aus: Mackintosh Consultants, Technologie- und Markttendenzen in der Uhrenindustrie. Teil A, Projekt NT 0624, November 197, S. 408

Die seit den 50er Jahren von Gewerkschaften erstrittenen Lohnzusatzleistungen fielen bei den niedrigen Löhnen erheblich stärker ins Gewicht als bei hohen (( a.a.O, S. 411))  , was die Personalkostensituation der Unternehmen weiter verschlechterte.

Im Vergleich zur Gesamtindustrie der Bundesrepublik waren die Löhne der Uhrenindustrie niedrig. Das Problem der Branche war  also, dass sie auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt mit Wettbewerbern konkurrieren musste, die sich höhere Löhne leisten konnten, weil sie durch ihren höheren Rationalisierungsgrad erhebliche niedrigere Personalkosten hatten.  Die Autoren der Mackintosh-Studie kamen daher 1977 zu folgender Schlussfolgerung:

„Die starke weltwirtschaftliche Stellung der deutschen Industrie … ist für die deutsche Uhrenindustrie natürlich ein wenig tröstliches Faktum. Angesichts der hohen Personalintensität und zum Teil nur geringer Produktivitätsfortschritte wird sie durch die hohen Arbeitskosten in ihrer Konkurrenzfähigkeit viel stärker belastet als andere Industrien. Sie musste in den vergangenen Jahren sowohl auf den Weltmärkten als auch auf dem Inlandsmarkt Marktanteile abgeben… Es kann jedoch hier schon festgestellt werden, dass es offensichtlich der deutschen Uhrenindustrie nicht gelungen ist, die kostenbedingten Wettbewerbsnachteile durch entsprechende Maßnahmen in Produktion … Produktpolitik und Marketing zu kompensieren.“ (( Macintosh Consultants. Teil C Die Deutsche Uhrenindustrie im internationalen Vergleich – strategische Überlegungen (1977) S. 221))

Hohe Löhne im internationalen Vergleich

Bruttostundenverdienste der Arbeiter in der bundesdeutschen Industrie in DM

m-männlich
w-weiblich
g-gesamt
19731974197519761977
gesamte Industriem
8,76

9,68

10,40

11,08

11,48

w
6,166,907,528,028,28
g8,239,139,8510,4910,83
feinmechanische, optische und Uhrenindustriem8,088,819,6910,3410,77
w6,116,787,558,068,48
g7,268,048,839,429,81
Uhrenindustrieg7,158,268,999,4110,01
Aus: Mackintosh Consultants, Technologie- und Markttendenzen in der Uhrenindustrie. Teil A.Projekt NT 0624, November 1977, S. 413

War die Personalkostenproblematik für die Uhrenindustrie schon in der Bundesrepublik ungünstig, so war sie im Vergleich zu internationalen Wettbewerbern noch schlechter. Hier wirkten sich vor allem die weltweit höchsten Lohnnebenkosten der Bundesrepublik aus.

Die Arbeitskosten der Bundesrepublik waren  im internationalen Vergleich sehr hoch.

Ländervergleich der Arbeitskosten in der Industrie 1976

BruttostundenlöhneLohnnebenkostenArbeitskosten in DMinsgesamt BRD=100
Industrieländer
BRD10,496,5016,99100
USA13,064,8317,89105
Japan7,931,319,2354
Schweiz11,574,6316,2095
Frankreich6,814,7711,5868
Großbritannien6,481,568,0447
Italien5,715,3111,0265
Mittel- und Südamerika
Venezuela4,85
Mexiko3,46
Brasilien2,50
Ostasien
Singapur1,640,662,3014
Honkong1,200,301,509
Südkorea1,10
Taiwan1,60
Aus: Mackintosh Consultants, Technologie- und Markttendenzen in der Uhrenindustrie. Teil A. Projekt NT 0624, November 1977, S. 429

Die USA, die Bundesrepublik und die Schweiz zahlten die höchsten Löhne mit großem Abstand vor Japan, Frankreich, Großbritannien und Italien. Die ostasiatischen Länder galten als ausgesprochene Billiglohnländer. ((a.a.O. Teil A. S. 431 „beim Vergleich der Arbeitskosten in der Gesamtindustrie lassen sich die Industrieländer … in drei Gruppen unterteilen. An der Spitze … die USA, die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz. Mit deutlichem Abstand dahinter liegen Frankreich und Italien. Selbst gegenüber dieser Mittelgruppe weisen Japan und vor allem Großbritannien einen erkennbaren Rückstand auf…. Die ausgewählten mittel- und südamerikanischen Länder als Niedriglohnländer bezeichnen kann, gehören die ostasiatischen Länder … immer noch (trotz Lohnsteigerungen) zu den ausgesprochenen Billiglohnländern. Die Arbeitskosten betragen hier… nur ein Zehntel der Arbeitskosten in der BRD.“))

Ländervergleich der Arbeitskosten in der Uhrenindustrie 1976

IndustrieländerIndustriezweigBruttostundenlöhneLohnnebenkosten Arbeitskosten in DMInsg. BRD=100 %
BRDUhrenindustrie9,415,8315,24100
USAUhrenindustrie9,873,6513,5289
Japanfeinmech. Industrie7,571,258,8258
SchweizUhrenindustrie männl.12,224,8917,11112
SchweizUhrenindustrie weibl8,513,4011,9178
Frankreichfeinmech. Industrie6,574,6011,1773
GroßbritannienUhrenindustrie6,011,447,4549
Italienfeinmech. Industrie5,415,0310,4469
SingapurUhrenindustrie1,300,521,8212
HonkongUhrenindustrie1,00,251,258
Nach: Mackintosh Consultants, Technologie und Markttendenzen in der Uhrenindustrie, Teil A. Projekt NT 0624 - November 1977. S. 430

In den USA bekamen die Uhrenindustriearbeiter allerdings 10 Prozent weniger als die in Deutschland. ((a.a.O. S. 432 In den USA liegen die Löhne der Uhrenindustrie 10 % unter denen der BRD. Durch die DM-Aufwertung 1977 gibt es vermutlich in den meisten Industrieländern Abwertungseffekte gegenüber der dt. Mark. Italien 20 %, Frankreich 14 %, USA 13 %. GB 10 %.))

Deutsche Wecker sind im Ausland nicht konkurrenzfähig

In Bezug auf die Weckerherstellung in Deutschland, einem wichtigen Produkt der deutschen Großuhrenindustrie, kam die Macintosh-Studie zu dem Schluss:  „Bedenkt man die erheblichen Lohnunterschiede selbst innerhalb der industrialisierten Welt, wie zum Beispiel zwischen der BRD, Schweiz und den USA auf der einen und Ländern wie Großbritannien, Japan und Italien auf der anderen Seite, so wird die Bedeutung des Lohnkostenanteils bei den verschiedenen Weckerarten offensichtlich. Hat zum Beispiel ein konkurrierender ausländischer Hersteller von mechanischen Weckern nur halb so hohe Löhne zu zahlen wie der deutsche Uhrenproduzent, so sind unter sonst gleichen Bedingungen seine Herstellungskosten um fast 30 % niedriger… während er beim Quarz-Werk nur etwa 13 % betrüge.“…. „Vom Preis her gesehen können also in der Bundesrepublik hergestellte mechanische Wecker weder hier noch im Ausland konkurrenzfähig sein….Letztendlich drängt sich damit die Frage auf, ob die BRD überhaupt noch ein geeigneter Standort für die Herstellung mechanischer Wecker sein kann“ (( A.a.O. S. 475))

Auch die Umstellung auf elektronische Uhren konnte nicht die Rettung bringen, schließlich mussten, um den Beschäftigungsstand zu halten, wesentlich höhere Umsätze gemacht werden. ((a.a.O. Teil A. S. 504  „Gemessen am Transistor-Wecker und vor allem am mechanischen Wecker müssen beim Quarz-Wecker wesentlich höhere Umsätze erzielt werden, um die eigene Wertschöpfung (d.h. nicht zuletzt die Beschäftigung auf vergleichbarem Stand zu halten“ Die Personalkosten und die Sachkosten werden bis 1980 zunehmen, die Kosten der Bauelemente werden zurückgehen. S. 505 „Als Ergebnis der unterschiedlichen Entwicklung der einzelnen Kostenkomponenten erwarten wir bis 1980 eine  Kostensteigerung beim mechanischen Werk um gut 12 %    … während sich beim Quarzwerk eine Reduktion in der Größenordnung von 20 % ergeben wird.“ Man muss davon ausgehen, dass die Konsumenten sich in Zukunft für die Quarzwecker entscheiden.“))

Wie kann man Arbeitsplätze erhalten? - Sozialgeschichte der Uhrenindustrie am 20. Dezember 2019 um 20:38 Uhr

[…] Analyse der Wirtschaftskrise wurden zwei Studien ausgeschrieben: eine Studie über die „Technologie und Markttendenzen in der Uhrenindustrie“ (Mackintosh-Studie) und  eine sozialwissenschaftlichen Begleitstudie „Auswirkungen der Technologie-Entwicklung auf […]

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