Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Die Staatsbürgschaft

geschrieben am: 30.06.2015 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Uhrenfabrik Kienzle

In der Uhrenregion war die Botschaft, man müsse Menschen entlassen, damit die Unternehmen erhalten bleiben können, nicht zu vermitteln, und dass dieser Prozess auch noch mit Steuergeldern unterstützt werden sollte, schon gar nicht.
Die Gewerkschaften forderten, dass das Land seine Kredite und Bürgschaften nur unter Auflagen verteilen solle. Mit öffentlichen Geldern müssten vor allem die Arbeitsplätze gesichert werden und nicht der Einfluss der Kapitaleigner.

Aufsichtsrat gegen Bürgschaft

Die Idee kam vermutlich aus den Reihen der Kienzle-Betriebsräte, „ daß als Bedingung für die Bürgschaft das Land der Firma Kienzle doch einen neutralen Mann ins Aufsichtsratsnest setzen könnte.“ Die Betriebsräte wandten sich angeblich mit diesen Überlegungen an den SPD-Abgeordneten Adam Berberich und den CDU-Abgeordneten und CDU-Staatssekretär Erwin Teufel. Teufel beteiligte sich an der Aktion. „In einem Schreiben an das Wirtschaftsministerium soll er sich für dieses gewerkschaftliche Denkmodell ‚Aufsichtsrat gegen Bürgschaft‘ eingesetzt haben.“
Nach dem Bericht der Badischen Zeitung machten sich „wiederum für politische Beobachter überraschend … auch etliche CDU-Abgeordnete im Finanzausschuss das Ansinnen der Gewerkschaft und der Betriebsräte zu eigen. Man beschloss also der Firma Kienzle-Uhren nicht nur eine Millionenbürgschaft, sondern auch einen neutralen Mann zu spendieren. Wegbereiter für diese Entscheidung war Teufel, dem Votum des Kabinettsmitglieds mochten sich die CDU-Mannen im Finanzausschuss denn doch nicht entgegenstellen.“
„Wert gelegt“, habe man so die Badische Zeitung, „Marktwirtschaft hin, Systemüberwindung her – auf die Feststellung, man habe sich zur Übernahme der Bürgschaft für Kienzle samt Koppelung mit Aufsichtsratssitz nur deshalb entschlossen, weil dem Finanzausschuß echte Anzeichen für eine Konsolidierung des von 3000 auf 1100 Beschäftigten geschrumpften Unternehmens vorlagen.“ (( StAVS 4.9-29, BZ v. 26.2.1976. Ulrich Homann: Bei der Firma Kienzle-Uhren in Villingen-Schwenningen. Ein Aufsichtsratssitz für Millionenbürgschaft. Der Finanzausschuss des Landtags: Das Wirtschaftsministerium soll einen neutralen Mann schicken.))

Arbeitnehmervertreter ist eine Belastung

Gegenüber dem Schwarzwälder Boten bestritt Dr. Börger die Tatsache, der Betriebsrat habe nichts von dem Korea-Projekt gewußt. Das Junktim zwischen Landesbürgschaft und Aufsichtsratsmitwirkung des Landes war ihm angeblich nicht bekannt. Börger war allerdings wenig erbaut von den Aktivitäten der Arbeitnehmervertreters Hugo Rösch. Der werde „langsam zu einer Belastung für unser Haus, die auf Dauer nicht tragbar ist‘.“ ((StAVS 4.9-29, Schwabo 28.2.1976. Kienzle-Uhren engagiert sich in Südkorea. Bürgschaft des Landes nur bei staatlicher Einflußnahme?/ keine Entlassungen. Siehe auch SWP 28.2.1976. Korea und Bürgschaft. Kienzle-Uhrenfabriken wollen in Fernost Uhrenwerke produzieren. Die Welt, Ausgabe B, Berlin West v. 27.2.1978.))
Es war Wahlkampf, eine gute Zeit Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen, das Land war tatsächlich bereit an die Staatsbürgschaft Bedingungen zu knüpfen. Eine vom Staat benannte Person sollte in den Kienzle-Aufsichtsrat eintreten. Die Stuttgarter Zeitung kommentierte: „Bisher hat niemand ein Patentrezept dafür, wie eine Lage, in der Hunderte oder Tausende von Arbeitsplätzen gefährdet sind, von den Sachwaltern des öffentlichen Interesses bewältigt werden kann. So wie die Lage ist, wird der Staat sein Interesse wahrnehmen müssen wie jeder andere Kreditgeber auch – das heißt, er wird prüfen und verhandeln müssen, ob der Zweck der Bürgschaft erfüllt wird oder nicht. Die Firma, welche die Bürgschaft in Anspruch nimmt, wird sich das gefallen lassen müssen… Das Land Baden-Württemberg hat jetzt die Chance, den Arbeitnehmern das Vertrauen in eine solche Lösung zu geben.“ (( StAVS 4.9-29, Stgt. Ztg. v. 2.3.1976. Staatsbürgschaft für Kienzle. Das öffentliche Interesse. Siehe auch: Stgt. Ztg. 1.3.1976. Kienzle: Durch Südkorea bürgschaftswürdig. Jusos kritisieren die vorgesehene Produktionsverlagerung der Uhrenfirma. „Das Land will mit der Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds verhindern, daß es eines Tages für die Ausfallbürgschaft ‚zur Kasse gebeten wird‘. …Die Landtagsabgeordneten der Region waren ebenfalls in diesem Bereich eingeschaltet worden.“))
Die Staatsbürgschaft, die Entlassungen und das Korea-Projekt füllten die Zeitungen (( StAVS 4.9-29, Pforzheimer Zeitung 12.3.1976. Kienzles Korea-Projekt dient angeblich der Produktionserhaltung ‚Mischpreis‘ soll Schwenninger Produktion erhalten. Stgt. Ztg. 13.3.1976. Scheu vor der Öffentlichkeit vorgeworfen. Mitarbeiter kritisieren heftig die Unternehmenspolitik bei Kienzle-Uhren. Schwabo 12.3.1976. Protestmarsch gegen Kienzle-Geschäftspolitik. (1000 Demonstranten) „In der Versammlung übte der Betriebsratsvorsitzende Herbert Leibold am Vorgehen der Geschäftsleitung Kritik. Er bezichtigte die leitenden Stellen des Unternehmens einer ‚Salamitaktik‘ gegenüber der Belegschaft, um hier Verunsicherung und Angst hervorzurufen. Reutlinger General-Anzeiger 12.3.1976 Kienzles Korea-Projekt. Stgt. Ztg. 12.3.1976 Kienzle-Arbeiter demonstrieren. Schwabo 12.3.1976. Nachdrücklich gegen Verlagerung. DAG solidarisiert sich mit den Kienzle-Uhren-Arbeitnehmern.)) Zur gleichen Zeit als die Arbeitnehmer in Schwenningen demonstrierten führte Alfred Kreidler in Stuttgart „das erste Pressegespräch seines Lebens“ durch.

Kreidlers erstes Pressegespräch

Dabei erklärte er den Journalisten: „ daß das Unternehmen in diesem Jahr voraussichtlich wieder in die Gewinnzone komme und die Uhrenindustrie insgesamt sich von dieser Krise erhole, die keine Strukturkrise sei. Kienzle voran und die übrigen Unternehmen hätten weder die technische Entwicklung noch die ausländische Konkurrenz aus den Augen verloren. Den einzigen Strukturwandel in der Uhrenindustrie, die Quarz-Digital-Armbanduhr aus USA, sei ebenfalls zu verkraften. Die deutsche Uhrenindustrie müsse nun von der Teillieferung aus USA unabhängig werden, entsprechende Schritte seien im Gange.“ Kienzle habe den technischen Neuerungen immer Rechnung getragen. „Bereits 1973 seien Kienzle-Quarz-Uhren in Serie gegangen… Die Uhrenbranche habe nicht die Entwicklung verschlafen, vielmehr habe die Tatsache, daß die Bundesrepublik derzeit teuerster Produktionsplatz der Welt sei, in Verbindung mit Auslandskonkurrenz und Rezession den tiefen Einbruch der letzten Jahre versursacht“. Schuld an den Entlassungen hätten die Versäumnisse der im „letzten Jahr fristlos abgelösten Geschäftsleitung“. Die früheren Geschäftsführer hätten trotz Aufforderungen durch den Aufsichtsrat die Belegschaft nicht reduziert. Die früheren Geschäftsführer hätten auch Schuld an dem Sachverhalt, dass VDO seine Kooperation mit Kienzle aufgekündigt habe und eigene Quarzuhren entwickele. Kienzle werde bald wieder schwarze Zahlen schreiben, „wenn nicht der Himmel einstürzt“. Die unverständlichen Proteste gegen das Korea-Projekt seien durch bewusste Falschinformationen gesteuert worden. „Eine Rückkehr zu Beschäftigungszahlen in der Uhrenindustrie und in der Industrie überhaupt wie vor der Krise“, schloß Kreidler allerdings aus: „Solche Zeiten kommen nicht wieder“. (( StAVS 4.9-29 Schwabo 12.3.1976. Kreidler: So kam Kienzle-Uhren in die Krise. Erste Pressekonferenz des Seniors der Uhrenindustrie/ Für 1976 Gewinn erwartet.))
In diesem Pressegespräch äußerte sich Kreidler auch zu der umstrittenen Landesbürgschaft. „Kreidler erklärte, in den Konditionen des Landes sei von einem Sitz im Aufsichtsrat nicht die Rede. Solche Pläne seien lediglich als Wunsch an das Unternehmen herangetragen worden.“ (( StAVS 4.9-29. Schwabo 16.3.75 (Kreidler-Pressegespräch) Kienzle-Uhren: Auf Flexibilität geschaltet.))

Frühere Geschäftsführer waren schuld an der Misere

Die Rechtfertigung Kreidlers und das Abschieben der Verantwortung auf die früheren Geschäftsführer war weniger überzeugend. Christoph Koenigs in den Stuttgarter Nachrichten, sah Alfred Kreidler den Hauptgesellschafter und Aufsichtsratsvorsitzenden im Mittelpunkt des Konflikts. Er habe vor elf Jahren eine blühende Uhrenfabrik gekauft und lasse sich als ‚starke Persönlichkeit‘ feiern, zeige aber „eine erstaunliche Führungsschwäche“. Angeblich habe Kreidler schon vor elf Jahren die Belegschaft reduzieren und die Sozialleistungen reduzieren wollen, dies sei aber nicht ernst genommen worden. Ein Argument, das doch für einen Alleininhaber sehr seltsam anmute.
Merkwürdig sei auch das Verhalten der Landesregierung. Die Konditionen, die zum Kauf der Uhrensammlung führten seien äußerst unklar. „Glaubt man früheren Informationen, so sollte der Erlös von acht Millionen Mark ausschließlich für die Arbeitsplatzsicherung bei Kienzle verwendet werden. Kreidler bestreitet dies, und das Stuttgarter Wirtschaftsministerium schweigt dazu. Ähnlich verhält es sich mit der vor kurzem gewährten Landesbürgschaft über acht Millionen Mark, die bereits 1974 beantragt worden war und so lange schmoren musste. Spruchreif soll sie erst durch die Korea-Pläne geworden sein: weil dadurch die ‚Rentabilität der Firma gewährleistet‘ erscheine, so die Begründung… Es ist jetzt an der Zeit, daß sich das Land Baden-Württemberg definitiv über seine Einschätzung der Lage bei Kienzle äußert. Denn neben der Arbeitsplatzfrage geht es letztlich auch um das Geld des Steuerzahlers, das für die Bürgschaft verwendet wird.“ (( StAVS 4.9-29. Stuttgarter Nachrichten 15.3.1976. Christoph Koenigs: Kienzle))
Am 18.3. gabe es eine Unterredung zwischen Finanzminister Robert Gleichauf und Staatssekretär Teufel mit der Geschäftsführung und dem Betriebsrat der Firma Kienzle. Gleichauf und Teufel hatten dafür eine Wahlkampfreise eigens unterbrochen. Gleichauf bestätigte anschließend vor der Presse. „daß der Finanzausschuß des Landtages an die Gewährung einer Bürgschaft die Forderung nach einem Sitz im Kienzle-Aufsichtsrat für einen Vertrauten des Wirtschaftsministeriums gekoppelt hat.“ (( StAVS 4.9-29 BZ v. 19.3.1976. Die Bürgschaft ist jetzt sicher. Erklärung der Regierung.))

Kienzle erhält die Staastsbürgschaft

Nach Wirtschaftsminister Eberle sollte das Unternehmen im Ganzen erhalten bleiben, was im Einzelfall zu Härten führen könne. Man habe das Korea-Projekt geprüft und Kienzle solle eine Landesbürgschaft von 8 Millionen DM erhalten. (( StAVS 4.9-29 Stgt. Nachrichten 19.3.1976 Eberle: Fall Kienzle ist nicht einmalig. „Kienzle soll eine Landesbürgschaft von 8 Mill. Mark erhalten. Dabei sei die Verlagerung eines Teils der Kienzle-Produktion nach Südkorea eingehend geprüft worden. Die Landesregierung, so Eberle, sei sich aber durchaus im Klaren, daß die von der Firma beabsichtigten Maßnahmen ‚im Einzelfall zu gewissen Härten‘ führen könnten. Die Landesregierung habe sich aber davon leiten lassen, den Fortbestand der Firma im gesamten zu sichern, um die Mehrheit der Arbeitsplätze zu erhalten… Der starke Anstieg des Kosten, die Änderung der Währungsrelationen und die technologische Veränderung erschwerten die internationale Wettbewerbsfähigkeit der gesamten deutschen Uhrenindustrie. Hieraus hätten sich bei Kienzle hohe Verluste und als Folge davon eine Schwächung des Eigenkapitals ergeben, aus der dann die Gefährdung der Arbeitsplätze resultierte. Eberle erklärte, man habe nur die Erhaltung der Arbeitsplätze in der Firma zum Ziel gehabt.“)) Die Landesregierung vertraue der neuen Geschäftsführung und glaube, dass eine zukunftsfähige Konzeption aufgelegt worden sei. (( StAVS 4.9-29 NQ 19.3.1976 Grünes Licht für Kienzle. Land gibt Bürgschaft. Intensive Rationalisierung, Verminderung der Beschäftigtenzahl und Produktionsverlagerung sei notwendig. Robert Gleichauf: „Wir vertrauen der neuen Geschäftsführung…und glauben, daß jetzt eine Konzeption aufgelegt worden ist, die Zukunftsträchtig ist“… „Der Finanzminister bestätigte gleichzeitig, daß der Finanzausschuß zunächst den Einzug eines Vertreters des Landes in den Kienzle-Aufsichtsrat zur Bedingung gestellt hatte, jetzt aber mit einem entsprechenden Vorschlag des Unternehmens einverstanden sei.“))
Der Wirtschaftsminister war überzeugt, dass der Kauf des Uhrenmuseums durch das Land den Konkurs der Uhrenfabrik Kienzle verhindert habe. (( StAVS 4.9 -29 Südkurier 19.3.1976. Land hilft Kienzle-Uhren mit 8-Millionen-Bürgschaft. Finanzminister Gleichauf: Vertrauen in Geschäftsleitung – Kompromiß in Aufsichtsratsfrage. – Minister Gleichauf war in Schwenningen mit Staatssekretär Teufel zu einem Besuch bei Kienzle. Nach Gleichauf gab es „erhebliche Spannungen zwischen Betriebsrat und Firmenleitung.“ Ursache das Korea-Projekt. Der Kauf des Uhrenmuseums hätte nach Gleichauf den Konkurs der Firma verhindert. In den Aufsichtsrat wurde eine Person berufen, die auch „das besondere vertrauen des Wirtschaftsministerium hat.“ ))

Geschäftsführer Börger, sah hier Demagogen am Werk, die er ab sofort „mit dem Kadi verfolgen werde. Für die IG Metall hingegen war klar, hier werden mit Steuergeldern Arbeitsplätze vernichtet, Kienzles Korea-Pläne seien „Lohnraub“. „Die Arbeitnehmer argumentieren, daß das Land mit seiner Unterstützung hauptsächlich dem Kienzle-Eigner Alfred Kreidler die Möglichkeit einräume, ‚weiter zu schalten wie er will.‘ … Kreidler, der … etwa eine viertel Milliarde Umsatz macht, wird von Kienzle (Werkern) vorgeworfen, er habe zu spät auf die modernen, gut verkäuflichen Quarzuhren umgeschaltet, den Anschluss als Zulieferer der Automobilindustrie verpaßt und Exportchancen verspielt.“ In den letzten Jahren seien in der Uhrenindustrie 4 800 Menschen entlassen worden, die Betriebe der Branche würden Arbeitsplätze im Inland ab und im Ausland aufbauen, nach dem Beispiel amerikanischer Produzenten, die die Module ihrer Elektronik-Uhren in Singapur fertigen ließen, welche dann in der Schweiz oder in der Bundesrepublik durch entsprechende Gehäuse ergänzt würden. (( StAVS 4.9-29, Der Volkswirt 26.3.1976 Kienzle-Uhren Ab nach Süd-Korea.))
Für die Gewerkschaften war dies eine schwierige Situation, sie mussten auf der einen Seite die Arbeitsplätze der Region für die Kollegen sichern, auf der anderen Seite aber aus genau dem gleichen Grund Rationalisierung und Kostenbewußtsein, Übernahme von neuen Technologien bei den Unternehmen einfordern. Überlegungen die für den einen oder anderen nicht nachvollziehbar waren, da es ja gerade die neuen Technologien waren, der die Arbeitsplätze reihenweise zum Opfer fielen. (( StAVS 4.9-29 Rote Fahne Köln v. 24.3.1976. Kienzle-Arbeiter gegen Entlassungen. – Die Gewerkschaftsfunktionäre „warfen den Unternehmern vor. Sie wären schlechte Manager, sie würden sich gegen den technischen Fortschritt stemmen. Was ist das anderes als eine Aufforderung zur Rationalisierung.“))
Daß eine Auslandsproduktion auf Dauer Arbeitsplätze im Inland sichern könnte, diesem Sachverhalt konnten sich auch die Betriebsräte bei Kienzle nicht verschließen und enthielten sich bei der entscheidenden Abstimmung im Aufsichtsrat der Stimme. (( StAVS 4.9-29 Welt am Sonntag 14.3.1976. Bald tickt Kienzle sogar in Korea. Neuer Sanierungsplan aus dem Schwarzwald. Siehe auch a.a.O. Stuttgarter Nachrichten 12.3.1976. Neue heftige Auseinandersetzungen um Kienzle. Süddeutsche Zeitung 13.3.1976. Kienzle will in Korea produzieren. Spandauer Volksblatt 13.3.1976. Kienzle geht nach Korea. Verlagerung der Uhrenherstellung dient der ‚Produktionserhaltung‘. Die Wahrheit – Berlin West 17.3.1976. Kienzle plant Verlagerung. UZ KPD 20.3.1976. Bei Kienzle gehen die Uhren falsch. Rheinische Post 18.3.1976. Kienzle: Korea-Projekt))
Im Landtagswahlkampf im Frühjahr 1976 war die Arbeitsplatzsicherheit ein Thema. Wer hatte die bessere Lösung? So sah Erwin Teufel in einer Wahlkampfbroschüre im Kauf des Uhrenmuseums eine Sicherung der Arbeitsplätze bei Kienzle, wo hingegen die SPD darauf hinwies, daß durch diese Kaufentscheidung die einzelnen Arbeitsplätze nicht gesichert worden seien, es seien mit dem Kauf keine Garantien für die Arbeitsplätze eingefordert worden. (( StAVS 4.9-29 Stgt. Nachrichten 25.3.1976. Die SPD widerspricht Staatssekretär Teufel: Kauf des Uhrenmuseums ohne Garantie für Arbeitsplätze. Hahn und Eberle haben dies bereits früher bestätigt.- Christoph Koenigs und Dieter Frauenheim: Eine CDU Wahlkampfbroschüre spricht von der Sicherung der Arbeitsplätze durch den Kauf des Uhrenmuseums. „Laut Landtagsdrucksache Nummer VI/ 6277 habe sich Schieler frühzeitig um eine derartige Garantie bemüht, worauf Kultusminister Hahn am 21. Oktober 1974 schriftlich erklärte: ‚eine Garantie der Firma Kienzle, daß ihre Arbeitsplätze erhalten bleiben … gibt es nicht und kann es der Natur der Sache nach auch nicht geben.‘ Ergänzend habe Wirtschaftsminister Eberle … am 10.Dezember 1974 betont: ‚… Trotzdem handelt es sich bei diesem Kauf nicht um eine staatliche Finanzhilfe, die mit Auflagen hinsichtlich der weiteren Geschäftspolitik der Firma verbunden sei.‘ … Erwin Teufel bleibt hingegen weiter bei seiner Feststellung, daß das Land das Uhrenmuseum der Firma Kienzle zur Sicherung der Arbeitsplätze gekauft hat.“ Die Landtagswahl fand am 4. April 1976 statt. Die CDU erhielt dabei Stimmengewinne von 4 Prozent gegenüber der Landtagswahl von 1972. Wichtiges Wahlkampfthema war in diesem Wahlkampf die Diskussion um das geplante Kernkraftwerk Wyhl.))

Gewinner ist Alfred Kreidler?

Auch die Mitglieder des Finanzausschusses im Stuttgarter Landtag hatten so ihre Zweifel, wem der Kauf des Uhrenmuseums und die Landesbürgschaft am meisten nutze, den Kapitaleignern oder den Arbeitnehmern?- und setzten sich für eine stärkere Kontrolle der Geschäftspolitik bei Kienzle ein, dadurch dass das Land „das Benennungsrecht für ein neutrales Aufsichtsratsmitglied bei Kienzle“ erhielt. (( StAVS 4.9-29 Stgt. Nachrichten 26.3.1976 Christoph Koenigs: Das Ärgernis Kienzle … „Die Mehrheit der Mitglieder im Finanzausschuß des Landtages, der nicht nur den Uhrenverkauf, sondern auch die Bürgschaft genehmigen mußte, hat jedoch offensichtlich ihre Auffassung durchgesetzt, daß eine stärkere Kontrolle der Geschäftspolitik bei Kienzle erforderlich ist. Bedingung für die Bürgschaft (mit der ein Bankkredit abgesichert werden soll) ist, daß das Land das Benennungsrecht für ein neutrales Aufsichtsratsmitglied bei Kienzle erhält…. Denn Kienzle-Inhaber Kreidler wird von seinen Managern ehrfurchtsvoll als eine ‚starke Persönlichkeit‘ bezeichnet. Er gefällt jedoch nicht allen. Kreidler hätte man ‚keine müde Mark‘ gegeben, so ein Finanzausschußmitglied, wenn es letztlich nicht um die Kienzle-Mitarbeiter gegangen wäre. Und über den Kauf des Uhrenmuseums heißt es rückblickend: ‚Der eigentliche Gewinner ist Herr Kreidler‘.“))
Geschäftsführer Börger wiederholte sein Credo, daß man nicht herstellen könne, was sich nicht verkaufen läßt, man die Belegschaft also soweit reduzieren müsse, dass sich der Absatz an Uhren wieder lohne. Allein aus diesem Grund seien die 1600 Kienzle-Beschäftigten, die er bei seinem Amtsantritt am 1. Mai 1975 vorgefunden habe, nicht zu halten gewesen. Die gerade durchgeführten Tariferhöhungen von 6 Prozent, seien zwar unter dem Gesichtspunkt eines Inflationsausgleichs zu rechtfertigen, sie würden aber die Konkurrenzfähigkeit und damit die Arbeitsplatzsicherheit gefährden. Hätte man vor Jahren auf die außertariflichen Zusatzleistungen bei Kienzle verzichtet, und früher mit den Entlassungen begonnen, wären die Folgen für die Arbeitnehmer nicht so dramatisch gewesen, wie sich die Lage jetzt darstellt. Durch die aktuelle Geschäftspolitik sei Kienzle heute wieder technologisch gerüstet, die Herausforderungen des Marktes zu bestehen. Aufgrund der Konkurrenz könne ein Unternehmen leider nicht so transparent agieren, wie diese von den Beteiligten Mitarbeitern, Gewerkschaften und dem Wirtschaftsausschuss erwartet werde. Gerade Schwenningen sei „für Informationen wohl ein etwas durchlässiges Sieb, … wir… wollen neue Entwicklungen und Maßnahmen möglichst lange für uns allein behalten.“ (( StAVS 4.9-29. NQ 25.3.1976. Ein Südwest Presse-Gespräch mit der Geschäftsführung der Kienzle Uhrenfabriken GmbH. Forderungen des Marktes zwingend.))
Ende Juni 1976 trat der ehemalige Chef der Landeszentralbank Dr. Fritz Schiettinger als neutrales Mitglied in den Kienzle Aufsichtsrat ein. (( StAVS SWP 24.6.1976 Neu bei Kienzle. Ehemaliger LZB-Präsident tritt in den Aufsichtsrat ein. Dr. Fritz Schiettinger (67) wird Aufsichtsrat. Einvernehmen zwischen Wirtschaftsministerium und Kreidler.))

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