Das Korea-Projekt
I976 gingen die Kündigungen weiter. Rund 250 bis 280 Mitarbeiter von 1381 sollten über das Jahr verteilt ihren Arbeitsplatz verlieren. (( StAVS 4.9-29, SWP 16.1.1976. Schrumpfungsprozess bei Kienzle-Uhren geht auch 1976 weiter. 250 Kündigungen? Unternehmen erwartet Umsatzausweitung und höhere Exporte. Siehe auch BZ 16.1.1976. 250 bis 280 Entlassungen noch in diesem Jahr. Der Schrumpfungsprozess bei der Uhrenfabrik Kienzle geht weiter. Warum verkauft Kreidler nicht an den Schweizer Konzern ‚Ebauches SA‘?))
Die durch einen Sozialplan mit dem Betriebsrat ausgehandelten Abfindungen betrugen zwischen 300 und 3400 DM. In Schwenningen rechnete man durch die entlassungen bei Kienzle mit einer Arbeitslosenquote von 8 Prozent.
Diese erneute Entlassungswelle machte den Beschäftigten schmerzlich bewußt, daß die von Kienzle durch den Verkauf der Uhrensammlung eingenommenen Steuergelder nicht dazu benutzt wurden ihre Arbeitsplätze zu sichern. (( StAVS 4.9-29, SWP 17.1.1976. Uhren-Kienzle wird insgesamt 500 Mitarbeiter entlassen. Mit Museums-Millionen keine Arbeitsplätze gesichert.- Ein Sprecher der Firma gestern gegenüber unserer Zeitung: ‚Im Kaufvertrag war die Sicherung der Arbeitsplätze keine Bedingung. Sonst hätten wir nicht unterschrieben‘.“))
Jede frei werdende Mark wurde in die Rationalisierung gesteckt.
Im Gegenteil jede frei werdende Mark wurde in die Rationalisierung gesteckt. Den Betriebsräten blieb gar nichts anderes übrig als den Entlassungen zuzustimmen, wenn man nicht noch die restlichen 1000 Arbeitsplätze gefährden wollte. Ein Ende der Kündigungen war nicht abzusehen, da die beantragte Landesbürgschaft vermutlich nur weitere Personalreduzierungen absichern sollte. (( StAVS 4.9-29, SWP 17.1.1976. Marktanpassung brachte Erfolge. Kehrseite der Rationalisierung: Personalabbau. Alfred Reif. ‚Wir arbeiten heute wieder voll für den Markt und nicht für das Lager‘…. „Die Kehrseite der Rationalisierungseffekte ist die anhaltende Reduzierung des Personalbestandes, der sich von einst mehr als 3000 über runde 2300 zu Beginn des Jahres 1974 auf nunmehr genau 1381 Arbeitnehmer verringert hat, Nach Abschluß der Freisetzungen im laufenden jahr wird die Belegschaft noch rund 1100 Köpfe zählen … Die Zustimmung – so Betriebsratsvorsitzender Herbert Leipold – fiel nicht leicht, mußte sich aber an den Gegebenheiten orientieren. Sie sind einmal in den technischen Entwicklungsprozessen zu suchen, die immer weniger Personal erforderlich machen, zum anderen in der dünnen Kapitaldecke des Unternehmens, das seit Jahren wie viele Betriebe seiner Branche mit ‚roten Zahlen‘ arbeitet. Eben deshalb bemüht sich Kienzle im Augenblick um eine Staatsbürgschaft. Der Antrag liegt beim Wirtschaftsministerium in Stuttgart, ist aber noch nicht beschieden.“ Diese könnte positiv ausfallen, da „die vorhandene Substanz des Unternehmens auch nach den neuerlichen Entlassungen eine Sicherung der Arbeitsplätze durchaus rechtfertigen könne.“ Siehe auch FAZ 20.1.1976. Kienzle-Uhrenfabriken straffen weiter. Landebürgschaft beantragt/ Museum verkauft.))
Börger wolle mit seinem Führungsstil die Schwierigkeiten des Unternehmens in Rekordzeit ausbügeln, so die Zeitschrift. „Schmuck & Uhren“. (( StAVS 4.9-29, Schmuck & Uhren Heft 1/76 v. 20.1.1976 S. 14-16. Motto: Klartext reden)) Das Credo des Kienzle-Managers war laut Interview : „Niemand kann auf Dauer mehr produzieren als der Markt aufnimmt; man muß vielmehr die Kapazität anpassen, um dadurch die Kosten rigoros in den Griff zu bekommen. Und Kosten lassen sich – entgegen der Ansicht einiger politischer Kreise – nicht wegdiskutieren“. Seine Parole in Anlehnung an frühere Kriegsberichtserstattungen: „zurückziehen auf die eigenen Linien, eine Frontbegradigung durchführen, um danach vorzupreschen, wenn die Zeit dazu gekommen ist.“
Er wolle nicht dem Umsatz nachrennen, sondern der Kostendeckung und Gewinnerzielung. Zur Produktionseinschränkung müsse man deshalb bereit sein. „Niemand kann auf lange Sicht mehr erzeugen wollen, als der Markt aufnimmt.“
Auf die Frage, ob er die Produktion auch ins Ausland verlagern wolle, stellte Börger fest: .“ Unser ganz großer Renner … ist die 01 mit dem nullsteinigen Werk 051. Wir haben gerade 25 Millionen davon gemacht. Und weil das nun eben so gut ankommt, müssen wir sehen, was da zu machen ist. Wir werden dazu in Schwenningen einen Teil unserer Produktionskapazitäten abbauen und sie nach Südkorea schicken. Wir machen dort ein Joint Venture, das hilft uns wenigstens, mit dem restlichen Teil noch in Schwenningen produzieren zu können. Solange der Handel dieses Produkt … haben will und solange der Verbraucher nicht Wert darauf legt, daß dieses Produkt ausgerechnet aus Villingen-Schwenningen stammt, geht es darum, den Preis zu halten, wobei der Aufdruck Kienzle und unsere Qualitätskontrolle die Qualität garantiert.
Wir bedienen unter diesen Voraussetzungen, mit Maschinen, die wir sonst stilllegen müßten, einen vorhandenen Markt, was unser primäres Anliegen ist.
Kienzle schafft Arbeitsplätze – in Korea
In diesem Punkt werden wir auch die vielgerühmte internationale Solidarität der Arbeitnehmer prüfen können, denn wir werden mit unseren Maschinen Arbeitsplätze – wenn auch anderswo – schaffen, die nicht zu verachten sind. Für uns jedenfalls ist das eine große Sache.“ (( A.a.O.))
Das Korea-Projekt in Verbindung mit dem Antrag Kienzles eine Staatsbürgschaft zu erhalten führte zu einem Medienaufruhr, der weit über die Grenzen der Uhrenstadt hinausreichte.
Kienzle werde ein Faß ohne Boden, so die Frankfurter Rundschau, „und das obwohl … Alfred Kreidler in Zürich als reicher Mann bekannt“ sei. „Jetzt soll das Land schon wieder in Form einer Staatsbürgschaft in Höhe von 10 Millionen Mark helfen. Das Wirtschaftsministerium und der Finanzausschuß des Landtags werden entscheiden müssen, ob sie hier gutes Geld dem schlechten hinterherschmeißen oder ob das Risiko sich lohnt.“
Schuld an der Misere der Uhrenbranche seien unfähige Manager. Alfred Kreidler „höchst persönlich“ habe die Autoquarzuhr verhindert. „Wenn das Land sich um der Arbeitsplätze willen entschließt, nun doch zu bürgen, dann müßten mit einer solchen Bürgschaft wenigstens bestimmte strenge Auflagen verbunden sein, zum Beispiel, daß das Geld zweckgebunden für die Forschung oder für die Umstellung auf verwandte, zukunftsträchtigere Produkte verwendet wird und daß mit den Krediten zumindest vorläufig keine weiteren Arbeitsplätze ‚wegrationalisiert‘ werden dürfen.“ (( StAVS 4.9-29, Frankfurter Rundschau v. 22.1.1976. Kienzle-Uhren: Faß ohne Boden?))
Selbst die ARD vom 26.2.1976 berichtete im Abendjournal.
„Eine Nachricht platzte heute Morgen in unsere Faschingslaune: ‚Kienzle will Produktion nach Südkorea verlagern.‘ … Ein Werk, dem das Land mit dem Kauf des Kienzle-Uhrenmuseums mit satten 8 Millionen geholfen hat, um es vor der Pleite zu bewahren und Arbeitsplätze zu erhalten, reagiert nun so?“ Derzeit habe Kienzle noch 1350 Beschäftigte, 800 habe man in den letzten zwei Jahren entlassen, 280 sollen entlassen werden. Schuld seien an der Misere laut Geschäftsleitung die hohen Produktionskosten in Deutschland, weshalb man nach Korea ausweichen will.
Der Betriebsrat Hugo Rösch äußerte im Fernsehen, dies sei „eine Provokation gegenüber dieser Belegschaft.“ Man sei nicht unterrichtet worden, habe von dem Korea-Projekt aus der Zeitschrift „Schmuck und Uhren“ erfahren. Streik in diesem Zusammenhang schloss Rösch nicht aus.
Dr. Börger bemerkte in diesem Fernsehinterview, die Koreanischen Löhne betrügen etwa ein Siebtel der deutschen. Gerade auch dem Land Baden-Württemberg gegenüber, das für den Millionenkredit bürgen sollte, müsse man sich durch wirtschaftliches Verhalten rechtfertigen.
Erich Kienzle, einer der letzten aus der Familie Kienzle wurde ebenfalls befragt und meinte: „Die Koreaner sind ja auch viel geschickter.“
Ministerialrätin Dr. Möller aus dem Wirtschaftsministerium war im Fernsehen gar der Meinung, daß diese Aktion – das Korea-Projekt- im Interesse der Wirtschaft sei, „wenn auch der Verlust von Arbeitsplätzen natürlich bedauerlich ist, aber er ist nicht zu vermeiden.“
Welche Möglichkeiten das Land überhaupt habe, strukturschwachen Gebieten zu helfen, wurde gefragt. Dazu erklärte Dr. Möller , man müsse einerseits den Firmen helfen wettbewerbsfähig zu werden, andererseits müsse man in den strukturschwachen Gebieten neue Industrien ansiedeln. Beides tue das Land. „Wir geben Finanzhilfen an die Firmen, und wir haben auch das Gebiet Villingen-Schwenningen zum Landesfördergebiet erklärt, um dort die Möglichkeit zu schaffen, Firmen, die sich neu ansiedeln, Finanzhilfen zu gewähren.“
Man müsse einen Teil der Arbeitsplätze opfern, um die restlichen zu erhalten. Dies sei das Schicksal der westlichen Industrieländer „im zunehmenden Konkurrenzkampf mit den Billiglohnländern.“ (( StAVS 4.9-29, Abschrift: Abendjournal, ARD v. 26.2.1976))
Bei Kienzle ist die Uhr daheim, sie braucht nicht in Korea sein.
Am 11. März demonstrierten die Arbeitnehmer der Uhrenindustrie gegen die Geschäftspolitik der Firma Kienzle. (( StAVS 4.9-29, SWP 11.3.1976. Sie demonstrieren. IG Metall fordert Kienzle-Belegschaft dazu auf.- „Sie demonstrieren ‚gegen die Vernichtung von Arbeitsplätzen‘, gegen ‚Verlagerung‘ und gegen ‚Lohnraub‘: die Mitarbeiter der Uhrenfabriken Kienzle wollen heute um 13.15 Uhr auf die Straße gehen. So schlägt es die IG Metall vor – und so wird es vermutlich auch sein, denn der Betriebsratsvorsitzende Leibold meinte gestern: ‚Die Stimmung in den einzelnen Abteilungen ist so, daß alle mitgehen.‘“ Die Geschäftsleitung (Alfred Reif) verurteilte die Demonstration)) Über 1000 Arbeitnehmer, Mitarbeiter von 15 anderen Betrieben, darunter auch einer Schramberger Uhrenfabrik, beteiligten sich an der Demonstration. „Auf den zahlreichen mitgeführten Transparenten standen Aufschriften wie: ‘Korea ist weit – Arbeitsplätze brauchen wir hier.‘ und ‚bei Kienzle ist die Uhr daheim, sie braucht nicht in Korea sein‘.“
Nach Ansicht der Geschäftsleitung war diese Demonstration nicht mit den Betriebsratsmitgliedern bei Kienzle abgesprochen. „Es sei jetzt nicht der Zeitpunkt zu demonstrieren, sondern zur konstruktiven Zusammenarbeit, um das Unternehmen in die Gewinnzone zu bringen und so die Arbeitsplätze zu sichern“
In einer Betriebsversammlung in der Deutenberg-Sporthalle wurden „Massive Vorwürfe gegen die Unternehmenspolitik der Geschäftsleitung und des Hauptanteilseigners Kreidler“ erhoben. Die Einlassungen des technischen Geschäftsführers Alfred Reif „ daß jeder der Mitarbeiter wissen müsse, daß die Firma Kienzle seit vielen Jahren zuerst kleine, später größere Verluste gehabt habe, quittierte IG Metall-Bevollmächtigter Erich Mayer mit einem ‚dafür habe ich, seit ich hier tätig bin, es auch schon mit fast zwanzig Geschäftsführern zu tun gehabt‘.“ ‚Es gibt keinen anderen Weg‘, so Reif, um auf lange Sicht Arbeitsplätze zu erhalten.“ Nachdem Kienzle den Markt für Autouhren verloren habe, man nicht mehr kostendeckend arbeite, müsse man „dies mit einer teilweisen Verlagerung nach Korea“ erreichen. Geschäftsführer Reif sah im Verkauf von Kow-How und Maschinen die Möglichkeit zusätzliche finanzielle Mittel zum Abbau von Krediten zu erzielen. Er war der Überzeugung, dass Kienzle das Tal überwunden habe. Man könne die Kurzarbeit endlich zurücknehmen. (( StAVS 4.9-29, SWP 12.3.1976. Kienzle mißbraucht Steuergelder um in Korea produzieren zu können‘. Über 1000 Arbeiter demonstrieren – Firmenleitung: Wir haben das Tief überwunden))
Für den IG-Metall-Bevollmächtigten Erich Mayer dagegen hatte die Geschäftsleitung die kommenden Entwicklungen nicht richtig eingeschätzt und es versäumt „neue Fertigungsbereiche zu erschließen.“ (( StAVS 4.9-29, SWP 12.3.1976 Betriebsversammlung der Kienzle-Uhrenfabriken. Angst um die Arbeitsplätze. Betriebsrat: ‚Geschäftsleitung scheut Öffentlichkeit‘.))