Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

Kienzle Uhrenfabriken: Mit Kreidler in die Krise

geschrieben am: 19.06.2015 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Uhrenfabrik Kienzle

Abbau von Sozialleistungen
1966 und 1967 waren schlechte Jahre für die deutsche Wirtschaft. Überstunden wurden abgebaut und in vielen Betrieben gab es Einstellungsstopps. Laut IGMetall -Verwaltungsstelle Schwenningen gab es ab Januar 1967 in drei Betrieben mit 180 Beschäftigten Kurzarbeit, acht Betriebe mit 2810 Beschäftigten, reduzierten ihre Sozialleistungen bzw. verrechneten diese mit den Tariflohnerhöhungen. (( IGM-Verwaltungsstelle Schwenningen a.N., Geschäftsbericht 1966/ 67/68.. S. 9-11)) Aus Sicht der Gewerkschaft war die Einführung der 40-Stunden-Woche zum 1.1.1967 eine wichtige Maßnahme zur Erhaltung der Arbeitsplätze, da trotz der 40-Stunden-Woche mehr produziert wurde als früher mit einer Wochenarbeitszeit von 48 Stunden. (( IGM-Verwaltungsstelle Schwenningen a.N., Geschäftsbericht 1966/ 67/68.. S. 14))
Man hoffte mit Arbeitszeitverkürzungen die „Negativen“ Auswirkungen der Rationalisierung aufzufangen.

Die Geschäftslage bei Kienzle war trotz Krise gut. Im März 1967 berichtete die Neckarquelle, das Unternehmen habe von 1960 bis 1966 seine Produktion um 66,7 Prozent gesteigert. Die Zahl der Kienzle Mitarbeiter, 1966 etwa 3000, habe aber im gleichen Zeitraum nur um 16,7 Prozent zugenommen. „Diese günstige Relation der Produktionssteigerung zur Zahl der Mitarbeiter [spreche] für sich. Sie [sei] ein Beweis für die gesunde Geschäftspolitik, die in Schwenningen verfolgt [werde] und die als oberstes Ziel stets die Rentabilität aller Maßnahmen im Auge [behalte]. Im Gegensatz zu anderen bedeutenden Unternehmen der Branche [sei] es daher nicht erforderlich [gewesen], in den letzten Monaten auf Kurzarbeit überzugehen.“ (( StAVS 4.9-29, SWP{NQ v. 4.3.1967))

Uhrenfabrik Kienzle (Foto: Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Uhrenfabrik Kienzle (Foto: Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Von der guten Geschäftslage bemerkten die Beschäftigten allerdings wenig. Die Mieten der Werkswohnungen wurden erhöht, das Fahrgeld für einheimische Mitarbeiter abgeschafft, das Kantinenessen wurde teurer und die Bedingungen für die Höhe des Weihnachtsgelds wurden verschlechtert. Für die Belegschaft und die IGMetall gab es keine wirtschaftlichen Gründe, die diese Maßnahmen gerechtfertigt hätten, es lag ganz allein an dem neuen Besitzer Alfred Kreidler, der nach Meinung des Betriebsratsvorsitzenden Wilhelm Merz „eine Harmonisierung der Sozialleistungen der Kreidler-Betriebe … auf dem unteren Niveau“ durchführen wollte. (( IGM-Verwaltungsstelle Schwenningen a.N., Geschäftsbericht 1966/ 67/68.. S. 31-33))
Und dies obwohl Teile der Belegschaft 1968 Überstunden leisten mussten und auch an Samstagen arbeiteten.

Am 9. 10. 1968 bezeichnete Dipl. Ing. Alfred Kreidler in einer eigens einberufenen Betriebsratssitzung die Situation bei Kienzle als schwierig. „Die Bezahlung der Weihnachtsgratifikation 1967 sei eine Dummheit gewesen. Für 1968 habe er die Absicht, die Weihnachtsgratifikation um 50 % zu kürzen.“ (( A.a.O. S. 32)) Die Belegschaft, die eher mit einer Erhöhung des Weihnachtsgels gerechnet hatte, war empört. Die IGMetall lud deshalb ihre Mitglieder bei Kienzle zu einer Versammlung am 14. Oktober 1968 ins Capitol ein und forderte in einer Zeitungsanzeige vom 14. Oktober „alle Arbeitnehmer in Schwenningen“ auf „sich mit den bei der Firma Kienzle Beschäftigten solidarisch zu erklären.“ Dies sollte mit zwei Demonstrationszügen ab Werk II in der Austrasse und ab Werk I in der Friedrich-Ebert-Straße zum Capitol gezeigt werden. Am 14. Oktober bewegten sich deshalb ab 16.45 Uhr zwei Demonstrationszüge durch die Stadt, an denen sich etwa 3000 Arbeitnehmer beteiligten. Selbst Arbeitnehmer von Junghans aus Schramberg waren gekommen. In einer Entschließung forderten die Versammelten im Capitol den Kienzle-Betriebsrat auf, „Herrn Kreidler telegrafisch zu ersuchen, die Ankündigung der beabsichtigten Reduzierung zurückzunehmen. Die Belegschaft erwart[e] von der Firmenleitung, daß vor den in dieser Woche stattfindenden Betriebsversammlungen abgeklärt ist, daß die Weihnachtsgratifikation mindestens in der alten Höhe bezahlt wird.“ (( StAVS 7653 Schwenninger Uhrenfabriken. NQ v. 15.10.1968 „Gegen den Abbau von Sozialleistungen. Belegschaft von Kienzle demonstrierte/ Verhandlungsbereitschaft erklärt/ Entschließung der Kienzle-Belegschaft.“))

Telegramm des Betriebsratsvorsitzenden Wilhelm Merz an Dipl. Ing. Alfred Kreidler (Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Telegramm des Betriebsratsvorsitzenden Wilhelm Merz an Dipl. Ing. Alfred Kreidler (Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

In einer der folgenden Betriebsversammlungen stellte der Geschäftsführer Dr. Consilius (( Dr. H. Consilius wurde 1966 von Kreidler in die Geschäftsführung gerufen.)) vor den Versammelten zur Firmensituation fest, „die Firma sei in einer schwierigen finanziellen Lage.“ Ohne weitere konkrete Angaben bemerkte er: „Wer die sozialen Belange [ er meinte wohl die zu hohen Sozialleistungen] ausser acht lasse, müsse ein Idiot sein.“ Die anwesenden Gewerkschaftsvertreter konterten, die Geschäftsleitung habe keine Begründungen für die Kürzung der Weihnachtsgratifikation geliefert. Kienzle habe in den letzten beiden Jahre Gewinne über vier Millionen und über zwei Millionen DM gemacht. Es seien über 6 Millionen DM an die Kapitaleigner ausgeschüttet worden, „da könne doch nicht von finanziellen Schwierigkeiten gesprochen werden.“

Am Tag nach der Betriebsversammlung verlängerten „fast 1000 Beschäftigte aus Protest gegen das Verhalten der Geschäftsleitung die Frühstückspause um 20 Minuten.“ Auch am Montag, dem 21.10.1968 wurde die Arbeit für 20 Minuten niedergelegt. Für den 22.10.1968 wurden Verhandlungen zwischen Herrn Kreidler und dem Betriebsrat vereinbart. Während der Unterredung zwischen 9.10 Uhr und 10.00 Uhr standen bei Kienzle alle Räder still. „Nach 2 ½ stündigen Verhandlungen erklärte sich Herr Kreidler bereit, das volle Weihnachtsgeld für 1968… zu bezahlen.“ (( IGM-Verwaltungsstelle Schwenningen a.N., Geschäftsbericht 1966/ 67/68.. S. 38-41. Vgl. StAVS 7653 Schwenninger Uhrenfabriken. NQ v. 19.10.1968, Sitzstreik bei Kienzle. Für 20 Minuten ruhte am Freitagvormittag die Arbeit im Werk I.))

Zu Weihnachten 1968 wurden die Mitarbeiter der Kienzle Uhrenfabriken, wohl zur Wiederherstellung des Betriebsfriedens, von der Geschäftsführung über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens aufgeklärt. (( StAVS 4.9-29. Schreiben der Geschäftsführung der Kienzle-Uhrenfabriken GmbH vom 20. 12. 1968 an die Mitarbeiter. 3 Seiten.)) Besonders wurden die stark gestiegenen Personalkosten beklagt. „In den Jahren 1957 bis 1967 ist an die Anteilseigner ausgeschüttet worden 7,855 Mio DM. In den gleichen elf Jahren betrugen die freiwilligen Leistungen des Unternehmens zugunsten seiner Mitarbeiter 12, 896 Mio DM. … Der Anteil der Personalkosten (Löhne, Gehälter, gesetzlicher und freiwilliger Sozialaufwand) an den Selbstkosten des Umsatzes betrug 1962 48,6 %, im ersten Halbjahr 1968 55 %.“

Zum 1. Dezember 1970 ersetzte Alfred Kreidler außerdem den Geschäftsführer Dr. Hans Consilius (( Consilius war für Kreidler wohl der Schuldige des Debakels)) durch den Dipl. Volkswirt Heinrich Hoffmann. ((StAVS 4.9-29. o.O, o.J. Neuer Geschäftsführer bei Kienzle. „Herr Dipl.-Volkswirt Heinrich Hoffmann (43) wurde am 1. Dezember 1970 zum neuen Geschäftsführer der Kienzle Uhrenfabriken GmbH in Schwenningen… bestellt. Er übernimmt das Ressort Finanzen und Verwaltung des ausscheidenden Geschäftsführungsmitgliedes Dr. Hans Consilius.“))

Abbau der Beschäftigten

Die Informationen aus den Kienzle Uhrenfabrik gingen deutlich zurück in der Ära Alfred Kreidlers. Im März 1973 berichtete die Stuttgarter Zeitung, die Ertragslage bei Kienzle sei 1973 „unbefriedigend“ gewesen. „Im Großuhrenbereich sei… das Umsatzziel wegen der Umstellung der Fertigung auf elektronische Werke nicht erreicht worden“. „Hohe Entwicklungskosten und Vorbereitungen bei der Umstellung der elektro-mechanischen auf die elektronischen Batterie- und Autouhrwerke [hätten] hier ihren Niederschlag gefunden. Gleichzeitig seien aber damit ‚erhebliche Rationalisierungsmaßnahmen im gesamten Unternehmen zum Tragen gekommen‘.“ ((StAVS 4.9-29 Stuttgarter Zeitung v. 5.3.1973))

Uhrenfabrik Kienzle- Werk II. Im Vordergrund Steinelgebäude und Kaufhaus Baro. (Foto: Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Uhrenfabrik Kienzle- Werk II. Im Vordergrund Steinelgebäude und Kaufhaus Baro. (Foto: Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Im September 1973 stellte Kienzle die Produktion von zwei Armbanduhrwerken ein. Dies bedeutete die Entlassung von 300 der insgesamt 2 400 Beschäftigten im Kienzle-Werk II. (( StAVS 4.9-29 Südwestpresse v. 1.9.1973)) Die freigesetzten Arbeitnehmer sollten auf freiwerdenden Arbeitsplätze integriert werde, kompliziert wurde die Angelegenheit dadurch, „dass sich unter jenen, die bleiben [sollten], eine große Anzahl von zum Teil älterer Facharbeiter [befinde], die mit Stundenlohneinbußen bis zu zwei Mark (bei Spitzenverdiensten zwischen acht und neun Mark) rechnen müßten. Ursprünglich hatten sich Betriebsrat und Betriebsleitung darauf geeinigt, mit Hilfe eines Sozialplanes derartige Härten zu vermeiden.“ Aber Dipl.-Ing. Kreidler sah sich an diese Zusage plötzlich nicht mehr gebunden und „erklärte dem Betriebsrat, er sei nicht bereit, freiwillige Zahlungen zu leisten. Er werde sich ausschließlich an den Tarifvertrag und die gesetzlichen Bestimmungen halten. Nunmehr hätten die Vertrauensleute den Betriebsrat am gestrigen Freitag beauftragt, nach den Paragraphen 111 und 112 des Betriebsverfassungsgesetzes die Aufstellung eines Sozialplans zu erzwingen.“ (( StAVS 4.9-29 Schwarzwälder Bote v. 1.9.1973))

Trotz spärlichem Informationsfluss des Kreidler-Unternehmens ließ es sich nicht verleugnen, dass die Uhrenkrise auch die größte der Schwenninger Uhrenfabriken voll erfasst hatte.
So meldete die FAZ „kein Geheimnis ist für die Branche jedenfalls, dass Kienzle 1972 mit roten Zahlen abgeschlossen hat. Schon in den vergangenen Jahren war bei Kienzle durchaus nicht alles nach Wunsch gelaufen. Drei Geschäftsperioden stagnierte der Umsatz bei 80 Millionen DM. Im Vorjahr galten als Erklärung Ausfälle auf Grund der Umstellung der Produktion auf ein neues elektronisches Großuhrwerk. Rationalisierungsbemühungen hatten seit 1971 zu einem Abbau der Beschäftigtenzahl um 300 auf 2 600 Beschäftigte geführt.“ (( StAVS 4.9-29 FAZ 22.9.1973 Entlassungen bei Kienzle? – Siehe auch Schwarzwälder Bote v. 29.9.1973 „Was den Armbanduhrensektor anbetrifft, vollzieht sich … ein ‚unerbittlicher Preis- und Verdrängungswettbewerb‘.“ Deshalb habe man den Fertigungsprozess umstellen müssen. Durch das Wegfallen lohnintensiver Fertigung sei Personal freigesetzt worden, das man aber im Betrieb umsetzen könne.))

Um die Preise zu halten musste Kienzle „Anfangspreislagen“ rationeller fertigen, in denen Kienzle besonders stark war. „Zu diesem Zweck [sei] daran gedacht, die Eigenproduktion von bisher drei Grundkalibern… auf einen zu beschränken. In den mittleren und oberen Preislagen [werde] Kienzle wohl mehr zukaufen als zur Zeit. Offenbar [wolle] man die Fertigung in diesem Zusammenhang stärker auf Schwenningen konzentrieren … Die innerbetriebliche Umstrukturierung wie auch die schlechten Exportpreise dürften auch 1973 kaum einen Gewinn zustande kommen lassen. 1974 aber hofft die Verwaltung, die Früchte aus ihren jetzigen Arbeiten ziehen zu können.“ (( StAVS 4.9-29 FAZ 2.10.1973 Kienzle mit gutem Exportgeschäft.))

Ministerbesuch bei Kienzle: ‚Eine Regierung, die nicht bereit ist, gelegentlich auch unpopuläre Dinge zu machen, ist eine Scheißregierung‘,

Anfang November 1973 besuchte Bundesminister Erhard Eppler (( Erhard Eppler wurde am 9. Dezember 1926 in Ulm geboren. Er war von 1968 bis 1974 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit (SPD). Bis 1961 war er Lehrer am Gymnasium in Schwenningen.)) die Firma Kienzle. Er ließ sich von Geschäftsführer Dr. Schubert die gute Technische Ausstattung des Unternehmens vorführen, bemerkte kritisch, dass die Uhrenindustrie ihre Arbeit dadurch humanisierte, dass sie die monotonen Arbeitsplätze mit Ausländern besetzte und hörte sich die Klagen des Betriebsratsvorsitzenden Herbert Leipold an, der staatliche Subventionen einforderte, weil die Uhrenindustrie sich selbst kaputt mache. (( StAVS 4.9-29 SWP 3.11.1973 Aktuelles Thema beim Besuch in Kienzle Uhrenfabriken. Subventionen für Uhrenindustrie? Dr. Eppler informierte sich über allgemeine Situation. „Dr. Eppler kam mit seinem Landesvorstand zu einem ‚politischen Wochenende‘ in die Region Schwarzwald-Baar-heuberg und hatte den Kienzle-Uhrenfabriken im Stadtbezirk Schwenningen einen Informationsbesuch abgestattet.“ Dr. Schubert glaubte, dass man bei Kienzle wegen der guten technischen Ausrüstung „gute Überlebenschancen“ habe. „Nach der Besichtigung vor allem der Stanzerei und nach Gesprächen mit der Geschäftsleitung meinte Dr. Eppler dann im Kreise des Betriebsrates: ‘Ich weiß eine ganze Menge über den Betrieb.‘ Nachhaltigster Eindruck sei die unendlich monotone Arbeit in der Stanzerei gewesen. „In der Frage der Humanisierung des Arbeitsplatzes ist man in der Uhrenindustrie offensichtlich doch dadurch ausgewichen, daß man einfach Ausländer genommen hätte. ‘ Herbert Leipold, der Betriebsratsvorsitzender, stellte die Frage nach staatlichen Subventionen und meinte, daß sich die Uhrenindustrie selbst kaputt mache, Hugo Rösch, Leiter der Sozialabteilung, sprach von einer allgemeinen, äußerst kritischen Phase auf dem Großuhrensektor und von einer Anpassungsphase bei Kleinuhren.“)) „In dem Gespräch mit dem Gesamtbetriebsrat von Kienzle-Uhren wurde … deutlich, wo Kienzle der Schuh drückt. Betriebsratsvorsitzender Herbert Leipold und der Leiter der Sozialabteilung, Hugo Rösch ließen den Minister wissen, … ‘Wir brauchen in dieser Stadt diesen Betrieb. Wir haben in den letzten drei Jahren bereits tausend Menschen verloren. So kann das nicht weitergehen.‘ SPD-Landesvorsitzender Dr. Eppler scheute sich nicht, seinem Parteifreund ungeschminkt, seine Sicht der Sachlage zu bekennen. Die Uhrenindustrie, zeigte der Minister seine Beschlagenheit vor, habe etwa 60 Prozent Lohnkostenanteil: ‚Alle Industrie dieser Art haben in der Bundesrepublik ihre Schwierigkeiten.‘ Es könne im Übrigen nicht Sinn einer Wirtschaftspolitik sein, unrentable Betriebe am Leben zu halten, aber ebensowenig, lebensfähige kaputt zu machen. Die Frage ‚Wie machen wir auf der einen Seite Konjunkturpolitik, auf der anderen aber Strukturpolitik? ‘ sei noch nicht beantwortet. … Zu dem von Betriebsratsvorsitzendem Leipold aufgeworfenen Thema der neuen Lohnrunde (8,5 Prozent Lohnabschluß sind es das letztemal nominal gewesen‘, klagte er) merkte Bundesminister Eppler an, daß ein ‚zu tiefer Schluck aus der Pulle‘ gefährlich werden könnte. 15 Prozent Lohnzuschlag – wie gefordert- würden manchen Betrieb der Metallindustrie in Schwierigkeiten bringen. Darunter dürfe man wohl auch Kienzle zählen. Man müsse diesen negativen Aspekt vor dem Hintergrund eines allgemeinen Nachlassens der Konjunktur in den großen Industrieländern sehen. ‚Deshalb gibt die Bundesregierung jetzt nicht Gas‘, sagte Dr. Eppler. Daß seine Worte beim Betriebsrat nicht auf sonderliche Gegenliebe stießen, konnte den Minister nicht beirren. ‚Ich gebe gerne zu, daß im Augenblick eine ganze Menge zusammenkommt, was die Arbeitnehmer ärgern muß‘, räumte er ein. ‚Eine Regierung, die nicht bereit ist, gelegentlich auch unpopuläre Dinge zu machen, ist eine Scheißregierung‘, ließ Dr. Eppler als Kraftwort zum Gesprächsabschluß im Raum stehen.“ (( StAVS Schwabo 5.11.1973 Minister Dr. Eppler: Uhrenindustrie an einen Tisch! Vorschlag bei Gespräch mit dem Kienzle-Uhren-Gesamtbetriebsrat/ Aber ‚kein Schwenninger Uhrenkartell‘))

Für den Januar 1974 meldete Kienzle für eine Woche Kurzarbeit für 500 Mitarbeiter an. (( StAVS 4.9-29 SWP 6.12.1973 Bei Kienzle-Uhrenfabriken im Stadtbezirk Schwenningen. Kurzarbeit für Januar angemeldet. Reine Vorsorgemaßnahme/ In Frage kommt eine Woche. „Von der geplanten einen Woche Kurzarbeit im Januar nächsten Jahres sind rund 500 Belegschaftsmitglieder betroffen. Die Kienzle-Uhrenfabriken beschäftigen derzeit rund 2500 Männer und Frauen. In der Pressemitteilung heißt es: ‚Der Gesamtabsatz der Kienzle Uhrenfabriken GmbH ist einmal abhängig von den Konsumenten aller Bedarfsschichten, von Kunden, die unsere Batteriewerke zu Uhren komplettieren und zum anderen von der Automobilindustrie. Im Hinblick auf die anhaltende Energiekrise, die für den verbraucher-Haushalt im Zeichen einer anhaltenden inflationären Entwicklung eine weitere erhebliche Teuerung mit sich bringt, ist zwangsläufig mit einer allgemeinen Käufer-Zurückhaltung zu rechnen. Dies veranlaßt die Geschäftsleitung des Hauses Kienzle, im Januar 1974 in Teilbereichen der Fertigung eine Woche Kurzarbeit einzulegen.“))

Ende Januar sollten abermals vier Tage Kurzarbeit für 1000 Betroffene durchgeführt werden (( StAVS Schwarzwälder Bote v. 18.1.1974)) , auch für den 21.bis 26. Februar wurde Kurzarbeit angemeldet. ((A.a.O. Schwarzwälder Bote v. 7.2.1974)) Ende Februar schließlich wurde bekannt, dass Kienzle bis Mitte des Jahres seine rund 2245 Beschäftigten auf rund 2000 reduzieren wolle. Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung zu dieser Entlassungswelle. (( A.a.O. SWP 19.2.1974 In drei Monaten bis 300 Beschäftigte entlassen.? Anpassungsphase bei Kienzle-Uhren. Betriebsrat will vor überbetriebliche Einigungsstelle. „Die Uhrenfabriken Kienzle im Stadtbezirk Schwenningen halten eine ‚Beschäftigungsanpassung‘ für notwendig und wollen in den kommenden drei Monaten jeweils 50 bis 100 Mitarbeiter entlassen. Bis zu den Betriebsferien in der Mitte des Jahres soll dieser Prozess der Anpassungsmaßnahmen abgeschlossen sein. Derzeit werden noch rund 2245 Männer und Frauen beschäftigt. Mitte des Jahres sind es dann unter 2000. Seit dem Einstellungsstopp im November 1973 wurden rund 120 Abgänge registriert.“… „In einer Betriebsversammlung erklärte gestern der Betriebsratsvorsitzende, daß der Betriebsrat die Zustimmung zur Kurzarbeit im März verweigere und prinzipiell auch den geplanten Entlassungen im Rahmen der Beschäftigungsanpassung nicht zustimme. Zwangsläufig sei mit dieser Entscheidung die Anrufung einer betrieblichen Einigungsstelle verbunden.“))

„Kienzle richtet sich auf Massenentlassungen ein“, titelte die FAZ. ((A.a.O. FAZ 20.2.1974 Kienzle richtet sich auf Massenentlassungen ein. Schwierigkeiten bei Armband- und Autouhren/ Verluste in den zurückliegenden Jahren/ 85 Millionen DM Umsatz.)) „Nach Angaben von Geschäftsführer Dr. Schubert ((StAVS VDU, 12.11.1969 – Schreiben an die Mitglieder des Beirats. Herr Erich Hilser scheidet mit dem 31.10.1969 aus der Geschäftsführung der Fa. Kienzle aus. Nachfolger wird Herr Dr. Konrad Schubert.)) werden in den kommenden drei Monaten jeweils ‚50 bis 100‘ Beschäftigte entlassen. Im vierten und vorläufigen letzten Monat dieser Aktion trifft es dann einen ‚größeren Posten‘: Je nachdem, in welchem Ausmaß das Unternehmen auf den bevorstehenden Messen in Hannover und Basel höhere Preise durchsetzen kann, werden weitere ‚150 bis 300‘ Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren. Zu dieser zeitlichen Staffelung hat man sich offenbar entschlossen, um den örtlichen Arbeitsmarkt nicht völlig zu überfordern. Daß alle Entlassenen sofort einen gleichwertigen neuen Arbeitsplatz finden können, gilt in Villingen-Schwenningen als nicht sehr wahrscheinlich.“ Schwierigkeiten gebe es vor allem bei den Armbanduhren und den Autouhren. (( A.a.O. FAZ v. 20.2.1974 „Damit werden Gerüchte vom vergangenen Herbst bestätigt (FAZ vom 22. September und 2. Oktober). Schon damals war in groben Zügen der Hintergrund bekannt. Schwierigkeiten gab es vornehmlich in zwei der drei etwa gleichstarken Geschäftsbereiche von Kienzle, nämlich in der Klein-Uhren-Produktion (Armbanduhren und bei den Autouhren)…. Die Kleinuhren dagegen … hatten trotz handfester Marketingkampagnen am Markt schwer zu kämpfen, auch war die Produktion zu vieler Typen kostspieliger. Hier hat man sich nun nach Schubert entschlossen, die Zahl der Grundkaliber der grundsätzlich unterschiedlichen Werkstypen von 5 auf nur noch eines zurückzunehmen. Die Kollektion soll künftig durch Zukäufe ergänzt werden, was in der Uhrenbranche durchaus üblich ist.“)) „So hört man aus der Branche, daß sich die Konzernleitungen von General Motors und vom amerikanischen Instrumentenherstellern Borg Instruments, der in Pforzheim eine Niederlassung hat, vereinbart hätten, bestimmte Opel-Typen nur noch mit Borg-Uhren auszurüsten. Schubert selbst bestätigt diesen Zusammenhang nicht, bestreitet aber auch nicht diesbezügliche Probleme.“

Entstanden seien diese Schwierigkeiten, weil Kienzle es versäumt habe „rechtzeitig Quarzuhren anzubieten, die „ im Autogeschäft mehr als anderswo schon eine große Rolle“ spielten. Hier sei „VDO mit einer eigenen Entwicklung schneller in den Markt gestoßen, wodurch das Geschäft mit BMW und Daimler-Benz für Kienzle mehr oder weniger verlorengegangen sein soll.“ Mit einem Quarzwerk im Megahertz-Bereich, wolle man dieses Geschäft wieder beleben. 1972 sei aufgrund der Wirtschaftslage bei Kienzle ein Jahresverlust von 4,4 Millionen DM entstanden. (( A.a.O.)) Für 1974 habe das Unternehmen nach den Vorstellungen der Geschäftsleitung das Ziel den Umsatz um ein Viertel zu erhöhen „mit reichlich einem Drittel weniger Beschäftigten.“ (( A.a.O.))

In einem Fernsehinterview argumentierte der IG-Metall-Bevollmächtigte Erich Mayer zum Thema Kienzle-Uhren, die wirtschaftliche Situation und die technische Ausrüstung des Unternehmens böte keinen Anlass zu so vielen Entlassungen. Es gehe ihm um die Erhaltung der Arbeitsplätze. (( A.a.O. SWP 26.2.1974)) Betriebsrat und Geschäftsleitung einigten sich schließlich doch und hoffte mit Kurzarbeit und Frühpensionierungen, die Lage in den Griff zu bekommen. (( A.a.O. SWP 15.3.1974 Vorerst keine Entlassungen, dafür aber weitere zwei Monate Kurzarbeit. / Sind Kienzle-Uhrenfabriken jetzt aus dem Schneider? „In den vergangenen Monaten haben die Kienzle-Uhrenfabriken durch Abgänge rund 150 Beschäftigte verloren. Im Schnitt rechnete man pro Monat bisher 30 Mann. Im Februar dieses Jahres waren es 25, im März sind es bisher 51. Begonnen hatte man damit in den letzten Monaten des Vorjahres. Daß man inzwischen auch erwägt, 63jährige Mitarbeiter, die Anspruch auf flexibles Altersruhegeld haben, in Pension zu schicken, falle nicht ins Gewicht. Die nunmehr genehmigte Kurzarbeit an je vier Tagen im März und April betrifft rund zwei Drittel der Belegschaft, die noch immer über der 2000-Grenze liegt. Interessant ist,…, daß der Anteileigner Kreidler bei den gestern getroffenen Vereinbarungen nicht unmittelbar beteiligt gewesen ist.“))

Diese änderte sich im Laufe des Jahres 1974 leider nicht. Erschwerend kam die Absatzflaute der Autoindustrie hinzu. Die Uhrenfabrik Kaiser in Villingen musste in Konkurs gehen. Nach den Betriebsferien wurden bei Kienzle zwischen dem Betriebsrat und der Geschäftsleitung Kurzarbeit und Freistellungen beschlossen.

Die gemeinsame Mitteilung des Betriebsrats und der Geschäftsleitung an die Beschäftigten lautete nach einem Bericht der Südwestpresse: „Die anhaltend unbefriedigende Absatzsituation in der Automobilindustrie trifft Kienzle als bedeutendsten Autouhrenhersteller besonders hart. Hinzu kommen die Auswirkungen der auch im zweiten Halbjahr zu erwartenden Kaufzurückhaltung im Konsumgüterbereich.
Im Einvernehmen mit dem Betriebsrat und nach grundsätzlicher Genehmigung des Arbeitsamtes haben die Kienzle Uhrenfabriken GmbH Villingen-Schwenningen Maßnahmen zur Beschäftigungs- und Kostenanpassung beschlossen.
Nach Angabe der Geschäftsleitung soll zunächst durch Kurzarbeit eine Anpassung an die Auftragslage herbeigeführt werden. Aufgrund der augenblicklichen Absatzsituation erstreckt sich die für den kaufmännischen und technischen Verwaltungsbereich vorgesehene Kurzarbeit auf sechs Tage im September und voraussichtlich eine gleichen Anzahl von Tagen im letzten Quartal 1974. Im Produktionsbereich liegt die Kurzarbeit etwa im gleichen Rahmen. In den verschiedenen Betriebsabteilungen ergeben sich jedoch produktionsbedingt Unterschiede in der Dauer der Kurzarbeit.
Zur Verbesserung der Kostenstruktur des Unternehmens ist darüber hinaus nach Auskunft der Firmenleitung eine Reduzierung der nicht im direkten Fertigungsbereich beschäftigten Mitarbeiter notwendig. … Über einen Zeitraum, der bis in das nächste Jahr reicht, muß unter Einbeziehung von vorzeitigen Pensionierungen mit einer Freistellung von 50 Angestellten und etwa 130 gewerblichen Mitarbeitern gerechnet werden. Von dieser Personalreduzierung sind etwa zehn Prozent der Gesamtbelegschaft betroffen“. (( StAVS 4.9-29 SWP 9.8.1974))

Noch im September 1974 präsentierte Kienzle mit „Chronoquarz“ ein elektronisches Uhrwerk für Autouhren zu angeblich erschwinglichem Preis. Da „dieses elektronische Uhrwerk den höchsten technischen Anforderungen unter extremen Umwelteinflüssen gerecht“ werde, seien „alle Kienzle-Autouhren mit diesem Uhrwerk ausgerüstet… sogar [die] englischen Luxuslimousinen Jaguar und Rolls-Royce.“ „Die Entwicklung des ‚jüngsten Sprosses‘ [habe] – und das betonte Kienzle mit Nachdruck- der Firmeneigner, Dipl.-Ingenieur Alfred Kreidler, besonders gefördert.“ (( StAVS 4.9-29 SWP 14.9.1974 Kienzle präsentiert mit ‚Chronoquarz‘ modernste uhrentechnische Entwicklung. / Quarz-Batteriewerk geht in Großserien-Produktion. Vorzug: Erschwinglicher Preis/ Elektronische Uhrwerke in Jaguar und Rolls-Royce.))

Diese Sicht der Dinge allerdings wurde in der bundesdeutschen Medienöffentlichkeit nicht unbedingt geteilt. So berichtete die Zeitschrift Capital im Februar 1976, dass der 78-jährige Alfred Kreidler, vor allem durch seinen rüden Umgangston seinen Mitarbeitern gegenüber, durch einen hohen Verschleiß an Geschäftsführern, aber ansonsten eher durch eine unglückliche Geschäftspolitik aufgefallen sei. Den Auseinandersetzungen mit dem Betriebsrat sei er 1974 ausgewichen mit der Aussage: „ich habe meine Bemühungen um die Rettung der Kienzle-Uhrenfabriken aufgegeben“.
Kreidler habe die rechtzeitige Umstellung auf die Auto-Quarz-Uhr verpasst, ein wenig „leistungsfähiges“ Vertriebsnetz im Ausland sei durch seine unglückliche Geschäftspolitik entstanden. Bis 1972 habe Kienzle über VDO 80 Prozent aller in Deutschland eingebauten Autouhren geliefert. Der Vertrag sei allerdings 1974 ausgelaufen, weil Kienzle nicht rasch genug auf Quartz-Autouhren umstellte. Ab Mitte 1975 fertigte VDO seine Quartz-Autouhren selbst. Dafür wurde die Kienzle-Geschäftsführung, die Herren Hoffmann, Schubert und Storz, komplett ausgetauscht. (( StAVS 4.9-29 Capital v. Febr. 1976))

Dufa Aalto Regulator Df-9017 im Test › Chrononautix am 5. November 2017 um 17:13 Uhr

[…] Die Marke Dufa wurde erstmals 1920 von der Uhrenfabrik Etzold & Popitz registriert. So enstanden vor allem Standuhren unter dieser Marke. Bereits 11 Jahre später, im Jahre 1931, fusionierte die Dufa Deutsche Uhrenfabrik Leipzig/Mühlhausen (Thüringen) mit der Kienzle Uhrenfabriken AG. Nach meinen Recherchen verläuft sich dann die Spur der Marke Dufa zunächst. Erst im Jahre 1989 gründeten die Herren Haller und Hott ein neues Unternehmen – der schlichte Name: Dufa Deutsche Uhrenfabrik GmbH. & Co. KG. Eine Verbindung zur „alten“ Marke Dufa ist mir allerdings nicht bekannt. Noch im selben Jahr öffneten die beiden Gründer die Geldbörse und übernahmen wiederum Kienzle, deren Mitarbeiterzahl zu diesem Zeitpunkt auf grade mal 50 geschrumpft ist (von ehemals 3000 im Jahre 1966). […]

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