Sozialgeschichte der Uhrenindustrie

DIVO-Institut: Die Lage der deutschen Uhrenindustrie

geschrieben am: 04.11.2014 von: Annemarie Conradt-Mach in Kategorie(n): Marktuntersuchungen

Bereits Mitte der 60er Jahre kam es in der Kleinuhrenindustrie zu Absatzeinbrüchen. Sättigungserscheinungen machten sich bemerkbar. Am 1. Dezember 1967 erhielt das Frankfurter DIVO-Institut für Wirtschaftsforschung, Sozialforschung und angewandte Mathematik deshalb den Auftrag für eine „gruppenwirtschaftliche Untersuchung in der Uhrenindustrie“1 .
Auftraggeber war das Bundeswirtschaftsministerium, das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg und die deutsche Uhrenindustrie.

Die Situation der Uhrenindustrie auf dem Weltmarkt hatte sich Mitte der 60er Jahre dramatisch verschlechtert, wie man dem Bericht Dr. Hans Schwenkers2  bei der Jahreshauptversammlung des Verbandes der Schwarzwälder Uhrenindustrie e.V. in Bad Dürrheim am 30 März 1966  entnehmen kann3 :

Seit dem 2. Weltkrieg sei die deutsche Großuhr einem verstärkten Wettbewerb auf den Exportmärkten, wie auch auf dem Binnenmarkt ausgesetzt. Neue Konkurrenten seien entstanden mit Japan, Russland, der CSSR, Ungarn, Rotchina und Polen.  Diese neuen Wettbewerber hätten neue Industrien „ohne Traditionsbelastung“ mit „neuester Technik für die Massenfertigung“ aufgebaut, weshalb sie „die Kostendegression durch Serien- und Massenfertigung“ voll ausnützen könnten. In den Ostblockländern gebe es außerdem noch aus Devisengründen „manipulierte politische“ Dumpingpreise. Rotchina z.B. habe in Australien einen Wecker für 2,80 DM angeboten, der eigentlich 4,46 DM wert gewesen sei. Zusätzlich würde die amerikanische Firma Timex mit ihrem Betrieb in Besancon mit aggressiver Werbung auf den deutschen Markt drängen.  Dadurch komme die Kostensituation der deutschen Uhr stark unter Druck.  Die Lohnintensität der einheimschen Uhren müsse dringend reduziert werden.  Die bisherigen Maßnahmen bei Kleinbetrieben, das heißt die bisherigen Spezialisierungen und Typisierungen, genügten nicht. Auch die Mittel- und Großbetriebe hätten ein zu großes Fertigungsprogramm. Die Eigenkapitalbasis vor allem der kleineren Betriebe sei zu gering und das Fremdkapital zu teuer. Dies habe eine zu niedrige Investitionsquote zur Folge. In der deutschen Industrie würde durchschnittlich 6 % vom Umsatz investiert, im Schwarzwald 4,4 % und in Pforzheim 2,8 %. Nur Kooperation und Konzentration könne die lage auf Dauer verbessern. Da die nach Dr. Schwenker notwendige Massenproduktion Massenkonsum voraussetze, sei zusätzlich Werbung notwendig, die es bis jetzt im notwendigen Ausmaß nicht gebe.

Das DIVO-Institut sollte nun die Lage der Deutschen Uhrenindustrie analysieren, mögliche Einflussfaktoren ermitteln mit dem Ziel die Zukunft des deutschen Uhrenmarktes abzuschätzen und entsprechend „ richtige Verhaltensweisen für die Unternehmer der deutschen Uhrenindustrie“ zu definieren.
Besonders wichtig war den Auftraggebern eine Untersuchung der Nachfrageseite des Uhrenmarkts und der Kaufmotive4 .
Gesamtwirtschaftlich war die deutsche Uhrenindustrie mit nur 0,4 % aller Beschäftigten und 0,2 Prozent des Gesamtumsatzes der bundesdeutschen Wirtschaft unbedeutend. Die durchschnittliche Betriebsgröße in der Uhrenindustrie betrug 150 Beschäftigte, der durchschnittliche Umsatz pro Betrieb 4 Millionen Mark5 . Es handelte sich überwiegend um eher kapitalschwache Klein- und Mittelbetriebe, die auf wenige Standorte in Baden-Württemberg konzentriert waren.

Unternehmen der Deutschen Uhrenindustrie nach Beschäftigtengrößenklassen 1967

BeschäftigtengrößenklasseHersteller von KleinuhrenHersteller von Großuhren
ZahlAnteil in %ZahlAnteil in %
unter 103333,058,0
10 - 493636,01932,0
50 - 1992424,01627,0
200 - 99966,01728,0
1000 und mehr21,035,0
TOTAL101100,060100
Übersicht über die Unternehmensgrößen der deutschen Uhrenindustrie 1967 (Stadtarchiv Villingen-Schwenningen 4.9-449 Gruppenwirtschaftliche Untersuchung in der deutschen Uhrenindustrie. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse aus den Teiluntersuchungen S. 8)
„Der Pro-Kopf-Umsatz der deutsche Uhrenindustrie betrug 1967 28 000, -DM. Im Vergleich zu anderen Branchen war dieser Betrag sehr niedrig. Er lasse darauf schließen, „dass es sich in der Uhrenindustrie um eine relativ wenig kapitalintensive, dafür aber umso lohnintensivere Branche“ handelte.
Das bedeutete zwar einerseits geringen Kapitaleinsatz – andererseits aber trafen Lohnsteigerungen „die gesamte Uhrenindustrie sehr empfindlich“. Das hatte besonders gravierende Folgen für kleinere Unternehmen, weil sie wegen Kapitalmangels nicht rationalisieren konnten6 .

Schwierigkeiten würde den Uhrenunternehmen auch die Situation bereiten, dass der Uhrenabsatz, d.h. ca. 60 Prozent des Gesamtumsatzes sich auf zwei Perioden, die Zeiten vor Weihnachten und um Ostern herum, verteilen würden. Das bedeute „für die Unternehmen der Uhrenindustrie eine zusätzliche kapitalmäßige Belastung, da sie für diese Saisonschwerpunkte entweder … Kapitalreserven bereithalten müss(t)en, oder aber in den verkaufsschwachen Zeiten auf Lager produzieren müss(t)en.“7

 

  1. Der Spiegel v. 01.09.1969 „Marktforschung/DIVO .Zukunft verborgen. Das „Deutsche Institut für Volksumfragen“ (Divo) in Frankfurt war berühmt wegen seiner exakten Prognosen. Es prophezeite Bundestagswahlergebnisse mit 0,4 Prozent Abweichung, sagte die Edel-Freßwelle voraus und kündigte westdeutschen Wirtschaftskapitänen neue Trends an…Zum Herbst dieses Jahres muß das einst führende Marktforschungsunternehmen der Bundesrepublik seinen gesamten Interviewer-Stab von über 600 Mitarbeitern aufgeben. Noch vor acht Jahren war die Frankfurter Firma — sie erhielt nach dem Kriege von der US-Militärregierung die ersten Aufträge — „tonangebend auf dem Gebiet der Konsumgüter- und Mediaforschung“…Bereits 1955 war Divo lexikonreif: Der Große Brockhaus registrierte das Institut als „führendes“ Marktforschungsunternehmen.“ S. 51 f []
  2. Geschäftsführer des Verbandes der deutschen Uhrenindustrie []
  3. SAVS 4.9-864 []
  4. SAVS 4.9-447 []
  5. a.a.O. []
  6. SAVS 4.9-449 S. 23 Kapitalintensität der Produktion []
  7. a.a.O.S.22 []

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