Der Photo-Porst-Manager Dieter Reiber sollte die trostlose Lage der Uhrenfabrik Mauthe zum besseren wenden
Die Uhrenfabrik Mauthe in Schwenningen gehörte neben der Uhrenfabrik Kienzle Schwenningen zu den ältesten Großuhrenfabriken weltweit und galt, mit in ihren besten Zeiten rund 1500 Beschäftigten1 , lange als drittgrößte deutsche Uhrenfabrik. Mauthe- Produkte wurden weltweit vertrieben.
Man versuchte, wie auch andere Uhrenfabriken, dem enger werdenden Markt durch Reduzierung der Kapazitäten, Abbau der Beschäftigten und durch neue Produkte zu begegnen. Zeitweilig wurden so neben den traditionellen Großuhren bei Mauthe auch Armbanduhren hergestellt.2 . Es wurde diversifiziert . Mauthe produzierte Kleinstmotoren für Filmkameras und Gehäuse für die Radio und Fernsehindustrie.3
Die schlechte Ertragslage führte außerdem zu einer Kooperation mit der Firma Junghans im Bereich der Weckerproduktion. Junghans gab dieses Projekt dann leider wieder auf, weil die von Mauthe gelieferten Wecker zu wesentlich niedrigeren Preisen aus dem Ostblock bezogen werden konnten.
Die DM- Aufwertungen führten zu einem massiven Rückgang der Exporte in die USA. Mauthe musste seine Belegschaft weiter reduzieren. Man versuchte über Rationalisierungsmaßnahmen die Produktivität zu erhöhen und verkaufte Grundstücke, um die Liquidität zu verbessern.4
Der neue Star der Uhrenbranche: Dieter Reiber
Im August 1974 änderte sich die Situation für Mauthe. Der Schwarzwälder Bote schrieb: „Die Uhrenfabrik Mauthe, über deren nicht rosige Ertragslage noch im Vorjahr von Insidern gemunkelt wurde, erweckt gegenwärtig den Anschein ständig zunehmender wirtschaftlicher Gesundung. Vor dem Hintergrund von Kurzarbeit und Freistellungen, wie sie von einem anderen namhaften Uhrenhersteller5 in Schwenningen erst dieser Tage angekündigt wurden, … spricht die Tatsache, dass Mauthe gerade jetzt seine rund 400 Köpfe zählende Gesamtbelegschaft durch die Einstellung einiger Fachkräfte … aufstockte, für den Aufwärtstrend.“
Verantwortlich dafür war der „ ehemaligen Foto-Porst-Spitzenmann Dieter Reiber“.6
Der neue Star am Himmel der Uhrenbranche war 1926 in Schwäbisch Hall geboren worden, hatte den Beruf des Journalisten gelernt, und arbeitete bis 1957 bei den Stuttgarter Nachrichten als Journalist. Von 1957 bis 1964 war er Verkaufsleiter und Vertriebsfachmann bei der KODAK AG. Er galt als überaus erfolgreich, weshalb er 1965 von Photo-Porst als Geschäftsführer abgeworben wurde.7 1973 kam es zu Auseinandersetzungen mit dem Unternehmer Hannsheinz Porst. Dieter Reiber machte sich daraufhin im Juli 1973 selbständig und gründete ein eigenes Unternehmen, die Gesellschaft für Unternehmens- und Projektmanagement mbH in Nürnberg.
Dieter Reiber: Einer der angeblich wusste, wie die Uhrenindustrie zu retten war.
Die Mauthe-Geschäftsführer H.F. Bertsch und Dr. Jung schlugen in der Gesellschafter-Versammlung im September 1973 vor Dieter Reibers GfU zu beauftragen, ein neues Konzept für Mauthe zu entwickeln. „Reiber wurde darüberhinaus auf Zeit als drittes Mitglied in die Geschäftsführung Mauthe berufen“.8
Ein Projektvertrag zwischen Mauthe und der GfU legte fest, dass Dieter Reiber ab 1.4.1974 zum Geschäftsführer bei Mauthe ernannt wurde, und er damit für das gesamte (Kiss Kiss) Projekt verantwortlich war. „Für das Projekt“ sollte die GfU Dieter Reibers „ jeden Monat 30 000 DM plus Mehrwertsteuer, ab 1.1.1975 33 000 DM plus Mehrwertsteuer“ erhalten. Damit waren „ sämtliche Leistungen der GfU sowie die Geschäftsführertätigkeit abgegolten. Ausnahmen Auslandstätigkeiten und zusätzliche Aufträge von Mauthe.“9
Bereits im November 1973 erklärte der neue Mauthe-Manager vor der Presse: „Das neue Unternehmenskonzept für Mauthe–Uhren basiert auf der Erkenntnis, dass die deutsche Uhrenbranche endlich die Methoden des modernen Marketing übernehmen und fortschrittlichere Führungsmodelle annehmen muss. Es resultiert aus der Tatsache, dass die Mauthe-Geschäftsergebnisse der letzten Jahre die Notwendigkeit des Umdenkens mehr als deutlich signalisierten.“
Weite Teile der deutschen Uhrenbranche hätten sich den Erkenntnissen des modernen Marketings bis jetzt verschlossen. „Pseudo-Neuheiten“ und ein ruinöser „Preiskampf“ seien die einzigen Wettbewerbsmittel, die der Branche zur Lösung ihrer Probleme einfielen. Die Modellpolitik sei rückständig. Die Vielzahl der Muster der jeweiligen Uhrenkollektionen könne man sich heute nicht mehr leisten. Der Uhrenfachhandel bleibe zwar weiterhin wichtiger Partner der Industrie, sei aber im Wettbewerb mit den Kaufhäusern auf eine Modernisierung des Marketings durch die Industrie angewiesen. Aber auch der Handel müsse Reformbereitschaft zeigen.
Der Neue brachte eine kurzfristige Trendwende
Abgerundet wurde die ab 1973 gültige Mauthe-Konzeption von Dieter Reiber „durch eine behutsame Korrektur der Führungsstrukturen … deren Fixpunkte … gestraffte Unternehmensplanung, Informationssysteme und Mitarbeiterschulung“ waren.10 Reibers Neuorganisation des Unternehmens schuf „eine Autonomie der beiden Unternehmensbereiche Fabrikation und Verkauf, um deren gegenseitige Abhängigkeit, die sich – wie Reibers Mautheanalyse ergeben hatte – als längerfristig fatal herausstellte, aufzuheben.“11
Die „neuen unternehmerischen Impulse, die Rationalisierung in der Fabrikation und die Verminderung der Uhrenmodelle“ schien die Lage bei Mauthe zum Positiven hin zu verändern, zumindest glaubten alle Betroffenen daran. „Das innerbetriebliche Klima“ verbesserte sich, „ ebenso das Klima zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung.“12
„Wir können nicht darauf warten, bis uns Konjunkturhilfen oder staatliche Programme für die Uhrenwirtschaft begünstigen. Wir müssen uns ganz alleine helfen“. Dieses Motto Reibers kam gut an, vor allem bei der Politik, die aufgrund der bedrohten Arbeitsplätze in der Uhrenindustrie immer wieder um Kapitalhilfe gebeten wurde.13
Gedruckt veröffentlicht: Annemarie Conradt-Mach, Kiss Kiss – der Anfang vom Ende einer Uhrenfabrik. In: Schwenninger Heimatverein (Hrsg.), Das Heimatblättle. Eine Schwenninger Monatsschrift für Stadtgeschichte und Brauchtum; 62. Jahrgang Nr. 9, 736. Folge, September 2014, S. 10/ 11.
- Die Höchstzahl an Beschäftigten wurde im 2. Weltkrieg aufgrund der Kriegswirtschaft erreicht. Vgl. Belegschaftszahlen, Mauthearchiv [↩]
- Dies wurde vor allem wegen der ausländischen Konkurrenz wieder aufgegeben [↩]
- SAVS 4.9 / 999 VDU an die Bürgschaftsbank Baden Württemberg v- 31. 10.1974, vgl. Hans Heinrich Schmid, Lexikon der Deutschen Uhrenindustrie 1850 -1980. Bd 2. Berlin 2012. S. 286- 291. [↩]
- SAVS 4.9 / 999, VDU an die Bürgschaftsbank Baden Württemberg v- 31. 10.1974 [↩]
- Kienzle-Uhren [↩]
- SAVS 4.9 / 999 Schwabo 13.8.1974. Neues Mauthe-Konzept scheint zu greifen: Sogar Neueinstellungen. Uhrenfabrik präsentiert bald Neuheit/ wird noch als ‚top-secret‘ behandelt. [↩]
- DER SPIEGEL 30/1973 „Der ehemalige Journalist Dieter Reiber, 42, aus Schwäbisch Hall. Porsts Platzhalter, ein gelernter Schriftsetzer, hatte vorher als Lokalreporter bei den „Stuttgarter Nachrichten“ (Reiber: „Eine berufliche Endstation“) gearbeitet. Später war er in die Pressestelle der deutschen Filiale des US-Phototrusts Kodak in Stuttgart eingetreten und hatte sich rasch zum Werbeleiter hochgearbeitet. Bei Einführung der Billig-Kamera Instamatic in den deutschen Markt war er bereits erfolgreicher Chef-Verkäufer, und schon damals fand Porst Gefallen an dem schnellen Schwaben. Porst: „Ich wollte ihn für uns haben, als er es selbst noch gar nicht ahnte.“ Am 24. Oktober 1967 wurde Hannsheinz Porst wegen „ angeblicher Ost-Spionage-Kontakte verhaftet“. Reiber wuchs ab dieser Zeit in die Rolle des „Vizes“ und leitete die Porst-Gruppe mit großem Erfolg. [↩]
- SWP v. 14.11.1973, Schwabo v. 14.11.1973 [↩]
- Mauthe-Archiv [↩]
- SAVS 4.9 / 999 Schwabo 13.8.1974 [↩]
- a.a.O. [↩]
- SAVS 4.9 / 999, VDU an die Bürgschaftsbank Baden Württemberg v- 31. 10.1974. [↩]
- A.a.O. SAVS 4.9 / 999 SWP 19.9.1974 Traditionsreiche Uhrenfabrik baut auf ihr neues Werk. [↩]